Ateliergespräch Jan-Holger Mauss

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Jan-Holger Mauss ist ein 1963 geborener deutscher Künstler. Er studierte an der Hochschule für Bildende Künste Hamburg Visuelle Kommunikation und Freie Kunst unter anderem bei Werner Büttner. Er ist Transformationsästhet, beschäftig sich mit Zeichen und Zeichensystemen, in Abbildungssystemen deren Referenzprioritäten nicht (mehr) eindeutig sind, inszeniert sich als Modell und Muse, Sammler und Kurator.

Lieber Jan-Holger Mauss, ich freue mich sehr, bei dir im Atelier zu Gast sein zu dürfen. Wir haben zum Einstieg einige deiner Werke aus der Serie ONS (One Night Stand) angeschaut. Diese haben pornografische Hefte zur Grundlage, sind aber fast aggressiv keusch. Was verbirgt sich hinter deiner Technik und was bringt sie zum Ausdruck?

JM: [lacht] Also ja, die Arbeiten entstehen durch das beidseitige Bearbeiten von gedruckten originalen Pornoheftseiten mit unterschiedlichen, teilweise von mir in Form geschnittenen Radiergummis, ohne das Papier zu beschädigen. Dabei entferne ich die Druckfarben so, dass die Akte, nicht mehr erkennbar sind. Bei dieser Negativtechnik ergeben sich Probleme wie z. B. bei der Bildhauerei: zu Beginn kann ich zügig viel Druckerschwärze oder -farbe wegradieren, je weiter die Arbeit fortschreitet, desto komplizierter und langsamer werden die Arbeitsprozesse. Dabei entstehen Objekte die im Auflicht eine A - und B - Seite aufweisen. Das öffnet zunächst einmal den Blick für die Hintergründe, wie z. B. Landschaften mit Wasser, Steinen, Pflanzen, Häusern, oder Fahrrädern. Es gibt natürlich auch Interieurs mit Klinker-, Kachel-, Bilderwänden Vorhängen, und Fenstersituationen. Diese Hintergründe sind von der Zeit der Entstehung von pornografischen Abbildungen bis heute eigentlich immer ähnlich und weisen, da der sexuelle Akt im Zentrum der Aufnahme steht, oft merkwürdige Anschnitte auf, sowie Randunschärfen und Verzerrungen, die durch Aufnahme- und Reproduktionstechniken entstanden sind. Dadurch haben sie Ähnlichkeiten mit Hintergründen von Selfie-Fotos. Da eine ONS Arbeit aber auch von der A - oder B - Seite in unterschiedlichem Durchlicht betrachtet werden kann, entstehen verschiedene Betrachtungsvarianten.

Durch die totale Reduktion nimmst du diesen Heften jegliche Schärfe, und sie sind ja fast schon wieder das Gegenteil von dem, was sie ursprünglich mal waren.

Teilweise radiere ich Seiten auch komplett aus oder lasse nur Rahmen oder Worte wie z. B. Namen stehen. Daneben gibt es Ausradierungen bei denen ich nur die Tätowierungen der Darsteller stehen lasse. Dabei interessieren mich u. a. die zweidimensionalen Wiedergaben der durch die Stellungen der Modelle räumlich verzerrten zweidimensionalen Tätowiervorlagen, dreidimensionaler Vorbilder, wie z. B. Anker, Drachen oder Herzen. So als würde ich mich für zweidimensional wiedergegebene Verzerrungen von Tattoos auf den Körpern von Hendrick Goltzius Druckserie „Stürzenden“ von 1588 interessieren, wenn diese tätowiert wären. Die Sammlung der ONS Tattooarbeiten könnte ich nach Motiven oder ihrer Historie ordnen und präsentieren, auch auch alphabetisch nach Tätowierern oder Modellen, die man ja an Hand ihrer Tattoos identifizieren kann. So ist das alles ein Finden und Suchen nach Erkenntnis durch das Ausradieren. Dadurch entwickelt sich etwas, was ich vorher nicht sehen oder denken konnte. Also das Wegnehmen lässt mich bestimmte Dinge besser sehen. Auch Dinge, die in der Pornografie eine Rolle spielen, zeigen sich.

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Das bekannteste Selbstportrait deines Lehrers an der HfbK Werner Büttner, ist von 1981 und betitelt mit ‚Selbstbildnis im Kino ornanierend‘. Es scheint, als hätte Büttner mit seiner sehr freien Sexualmoral und dem Umgang mit der eigenen Sexualität da auch einen gewissen Einfluss auf dich gehabt.

 Also, daher kommt es eigentlich nicht. Es ist eher so, dass ich das Recyceln von Pornoheften über ihre Verwandlung zu Pulpe zum Papierschöpfen hinaus interessant finde. [lacht] Aber natürlich hat Werner Büttner einen ganz wichtigen Einfluss gehabt, allerdings nicht unbedingt dieses Bild. Ich habe u. a. ein Werk von ihm, das ich während meines Studiums gegen eine Arbeit von mir getauscht habe: „DEIN HIRN IN DEINEN ARMEN, SO“. Es ist auch ein Selbstportrait von ihm, sogar ein Doppel-Selbstbildnis, in dem er sich selbst im Arm hält. Das hat mich viel mehr beeinflusst. Beim Ausradieren z. B. bewege ich meine rechte Hand mit dem Radiergummi über die Oberfläche des Papiers um Druckfarbe zu entfernen. Die Veränderungen registrieren meine Augen und mein Gehirn bestimmt meine Handbewegung: Hand – Auge – Hirn – Hand – Auge – Hirn – Mein Hirn in meiner Hand, meine Hand in meinem Hirn, so. Sowas hat Werner Büttner – als ein wirklich hervorragender Lehrer – in seinem langen Marsch zur Qualität initiiert. Andere für mich wichtige Lehrer sind: auch Horst Bredekamp, Georg Jappe, Fritz Kramer, Matthias Lehnhardt, Monika Wagner.

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Georg Baselitz ‚Große Nacht im Eimer‘ war 20 Jahre früher. In den 80er Jahren, kann man sich ja grundsätzlich die Frage stellen: Wie sehr war das Mittel der Provokation überhaupt noch etwas, das im Kunstkontext noch gewirkt hat? Und daran angeschlossen, jetzt auf deine Arbeiten bezogen, ist nicht – alles was daran Provokation sein könnte, eigentlich nur der Gedanke? Wir kennen die deutsche Redewendung „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“. Am Ende ist es die reine Assoziation des Betrachters, die es noch Pornoheft bleiben lässt.

Ja, das kann man sagen. Pornographie findet beim Rezipienten, dem Pornavis, Porntagonisten wirklich im Kopf statt. Es ist die Phantasie der Anderen und öffnet Möglichkeiten für Projektion. In den menschenleeren Räume der ONS Arbeiten kann man seine eigenen Vorstellungen entwickeln. Als Provokation sind die ONSs aber nicht gedacht, obwohl sie alle final mit meinem Sperma signiert sind, wozu mich Spermaflecken in gebrauchten Pornoheften inspiriert haben. Auch Marcel Duchamp der „Boîte-en-valise“ Nr. XII/XX, für Maria, 1946, Astralonfolie mit Samenflüssigkeit, als Original mit dem Titel „PAYSAGE FAUTIF“ (sündige Landschaft) in der Deckelinnenseite des Lederkoffers einfügte hat und sie damit quasi auch mit Sperma signiert hat, da dachte ich, dass passt eigentlich, jetzt, wo man Techniken hat genetisches Material zu identifizieren und zuzuordnen. So dringt die Signatur ins Papier ein und ist im Schwarzlicht sichtbar. Natürlich kann man das Ausradieren auch als Zensur betrachten. Ich zerstöre ja Pornohefte, die berühmt/berüchtigt und bekannt sind, die es gar nicht mehr oft gibt und die teilweise teuer gehandelt werden. Die Kommunikation mit dem Material war und ist mir immer wichtig.

Aktuelle arbeitest du gerade viel im Bereich der Videokunst. Dabei machst du etwas, das so vom Grundgedanken her nicht unähnlich deiner Radier-Arbeiten ist: Du konzentrierst dich auf die Sequenzen, die eigentlich das extreme Beiwerk eines Pornofilms sind, also beispielsweise auf die Szenen, die zu einer Handlung hinleiten. Was macht diese aus? Was macht sie anders als vergleichbare Szenen in einem Hollywood-Streifen oder in einer Soap Opera?

Für die Arbeit „ORIGINAL COPY“ habe ich die Erfahrungen aus den ONS Arbeiten in das Medium der Pornofilme übertragen. Ich habe aus digitalisierten Pornofilmen Szenen herausgeschnitten in denen keine Modelle vorkommen. Diese Takes zeigen wie die ONSs Landschaften, Interieurs und Texte nur in bewegten Bildern mit Ton. Zur Zeit habe ich um die zwanzigtausend Takes geschnitten, die bei permanenter Präsentation per Zufall ausgewählt werden, so dass sich 20000 hoch 20000 Möglichkeiten der Kombination der Takes ergeben, was bedeutet, dass man die Arbeit tagelang ansehen kann und sich immer wieder neue Takekonstellationen ergeben. Hollywoodfilme und Soap Operas haben natürlich ein wesentlich höheres Budget als Pornofilme. Deren Drehorte sind anders spektakulär, sind Zeitdokumente von Orten queeren Lebens, wie Bars, Cruising Areas, Toiletten, Strände usw. Es gibt auch Ausschuss-Szenen, die in Hollywoodfilmen nicht vorkommen. Beim Akt fällt z. B. die Kamera auf den Boden und läuft einfach weiter, was nicht rausgeschnitten wird - diese drei Minuten sind somit einfach drin. Man sieht verschmutzte Teppiche und hört Stöhnen. Oder die Kamera schwenkt unmotiviert über Schrankwände, Betten oder Landschaften um Orte zu charakterisieren, oder vollführt wilde Kamerafahrten, Loops um einen Gefühlsausbruch zu bebildern. Natürlich gibt es auch Textpassagen wie „five minutes later“ oder, „when suddenly“ die auch in Pornoheften vorkommen. Das Einblenden des Wortes Ende, End, Fine usw. war auch in Pornofilmen früher üblich und wurde in Pornoheften aufgegriffen, wodurch es auch ONS Ende Arbeiten gibt.

Du dokumentierst bei deinen Arbeiten also als Beiprodukt einen Blick auf eine sich verändernde Sexualität und Erotikempfinden?

Ja, was als erotisch empfunden wurde und wird zeigt sich z. B. in den Tonspuren der Takes, - in ihrer Musik und Geräuschen. Die Surfszene und die dazugehörige Musik war mal sehr hipp. Graffiti war eine Zeitlang angesagt. Es gibt Pornos mit Graffiti in Wohnräumen, Toiletten oder auf graffitierten Halfpipes, was als total sexy empfunden wurde. Wenn man das so sieht und dann auch sieht das Halfpipes in der Kunst erst 10 bis 20 Jahre später angekommen sind... Es gibt Themen die vom Porno in die Kunst und Mode übergegangen sind und natürlich auch umgekehrt. Tätowierungen gehören auch dazu.

Bei dieser kleinen Zeitreise liegt als abschließende Frage nahe: Besteht aufgrund des Wandels der Medien die Gefahr, dass dir der Material-Vorrat ausgeht, den es zu bearbeiten gibt?

 Ich habe Sammlungen von Pornofilmen, -heften und -seiten aus denen ich schöpfen kann. Aus Nachlässen homosexueller Männer wurden Unmengen an Pornomaterialien an das Schwule Museum in Berlin gegeben. Dort werden z. B. die Hefte in dreifacher Auflage gesammelt. Die für das Museum und den Handel uninteressanten Hefte habe ich immer in einer riesigen Kiste dort gesichtet und mir interessante Seiten oder Hefte rausnehmen dürfen, bevor sie entsorgt wurden. Häufig ist in Heften ja nur eine Seite interessant. Und natürlich bin ich früher auch auf der Reeperbahn losgezogen und habe für 50 Pfennig oder einer Mark solche Hefte gekauft. Das war damals noch möglich. Heute werden viele als Vintage meist sehr viel teurer gehandelt. Ich kann mir aber auch durchaus vorstellen, dass mir andere Sachen einfallen als ausschließlich Pornohefte und -filme zu bearbeiten.

Lieber Jan-Holger, vielen Dank für diese Insights. Ich danke dir für das Gespräch.

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Jan-Holger Mauss wird vertreten durch die Laura Mars Gallery in Berlin www.lauramars.de.