Ateliergespräch - Karin Kneffel

„Meine Bilder haben sich gut gehalten“

Prof. Karin Kneffel ist eine der namhaftesten und erfolgreichsten deutschen Malerinnen unserer Zeit. Aus dem Ruhrgebiet stammend, beschäftigte sich Kneffel zu Beginn ihrer Karriere mit der Nachkriegsarchitektur ihrer Heimat. Ihre Meisterschülerschaft bei Gerhard Richter führte sie zu neuen Techniken und Sujets, wie beispielsweise Früchte, für die sie heute so bekannt ist. Kneffels Werke zeichnen sich durch eine intensive Frabbrillianz aus, die jeden ,ungeachtet des Bildformates, sofort in den Bann schlägt. Für die Spiegelberger Stiftung öffnete sie ihre Ateliertüren.

Spiegelberger Stiftung: Frau Kneffel, Sie mögen keinen Besuch im Atelier. Warum?
Karin Kneffel: Das Atelier ist ein sehr privater Ort für mich, an dem ich ungestört meine Arbeit machen und unbehelligt Dinge ausprobieren kann. Ich male, um herauszufinden, was ich denke. Da stören mich in bestimmten Arbeitsphasen die Gedanken anderer, vor allem wenn ich gerade im Bild in fragilem Gelände unterwegs bin. Selbst eine Bemerkung oder ein Blick kann da schon zu viel sein. Aber ich arbeite ja mit Galerien zusammen, in deren Ausstellungsräumen kann man meine Bilder sehen, dort ist mein Schaufenster. Da gerade eine Werkreihe für meine kommende Ausstellung in der Galerie Dirimart in Istanbul abgeschlossen ist, ist jetzt ein guter Moment, um Besuch zu empfangen.

Spiegelberger Stiftung: Sind Sie als etablierte Künstlerin denn wirklich noch beeinflussbar?

Karin Kneffel: Beeinflussbar ist das falsche Wort, aber natürlich nehme ich die Gegebenheiten und Stimmungen um mich herum wahr und reagiere darauf. In bestimmten Phasen, vor allem, wenn eine Idee konkreter wird, tausche ich mich darüber aus und natürlich
auch, wenn die Bilder fertig sind. Und irgendwann kommen ja dann auch noch Rückmeldungen von Ausstellungsbesuchern, Galeristen, Kuratoren oder Sammlern dazu. Aber wenn die Kohlezeichnung auf der Leinwand gemacht ist, möchte ich ungestört sein. Da steht für mich die Kommunikation mit dem Bild im Vordergrund. Dieses sagt mir dann, ob die Idee tragfähig ist, ob ich mich habe täuschen lassen, ob die Umsetzung mich überfordert oder ein handwerkliches Problem zu sehr in den Vordergrund gerät und etwas verändert werden muss.

Spiegelberger Stiftung: Vor dreißig Jahren haben Sie sich von ihrem Umfeld wenig beeinflussen lassen. Sie malten Tierköpfe. Darüber schüttelten vermutlich viele den Kopf. Wie hält man das durch?
Karin Kneffel: Weil man nicht anders kann. Ich hatte einfach das Gefühl, das hat mit mir zu tun. Und ich hatte die Hoffnung, dass irgendetwas draus entstehen könnte. Eine Künstlerin muss ein Schwamm sein, der alles aufsaugt. 

Spiegelberger Stiftung: Aber man darf natürlich nicht ein Fähnchen im Wind sein. Aber warum malten Sie gerade Früchte und Tiere, als andere politische Bilder machten?
Karin Kneffel: Zu Beginn meines Kunststudiums Anfang der achtziger Jahre war Joseph Beuys an der Düsseldorfer Akademie zwar schon entlassen, aber immer noch eine spürbare Größe. Sein Ausspruch «Der Fehler fängt schon an, wenn sich einer anschickt, Keilrahmen und Leinwand zu kaufen» hallte immer noch nach, und gleichzeitig standen in der Malerei die Neuen Wilden im Fokus, die das Malen als weitgehend unmittelbaren und spontanen Prozess der Bildfindung verstanden. Ich wollte aus einer grundsätzlich anderen Denkweise dieser Malwut entgehen und trotzdem malen. Das führte erst einmal zu großer Frustration und Ratlosigkeit. Ich musste mir die Voraussetzungen dafür schaffen, Malerei auf einer breiteren Ebene diskutieren zu können. Als Malerin schaut man ja auf eine lange Tradition zurück, und da schienen mir Themen wie Portrait, Stillleben oder Feuer geeignet, mich mit Fragen zu Realität und Realismus zu beschäftigen. Wie zeigt sich ein Bild selbst als Bild? Was ist mit der Schönheit?

Spiegelberger Stiftung: Was haben Sie dann gemalt?
Karin Kneffel: Ich hatte damals grossartige kleine Landschaftsaquarelle von Albrecht Dürer gesehen und dachte, Aquarelle könnten das geeignete
Mittel zur Darstellung meiner Früchte sein. Diese Technik reizte mich, obwohl ihr der Vorwurf des Dilettantismus und der Hobbymalerei anhaftete. Ich hatte über aquarellierende junge Frauen in Reifröcken gelesen und über die Londoner Aquarell-Society, die jeden aus ihren Reihen verbannte, der mit deckenden Farben arbeitete. Selbst William Turner durfte deshalb nicht beitreten, obwohl er auf dem Gebiet Grosses leistete. Ich erinnerte mich auch an den Ausspruch meines ehemaligen Kunsterziehers: Aquarell geht schnell. Bei mir geht gar nichts schnell, ich mag für meine Bilder keine fließenden Farben und höhe Stellen im Bild gern deckend mit weißer Farbe: Also war das Aquarell genau die richtige Technik für mich. Später schienen mir dann sehr große Leinwände für die Früchte noch besser geeignet, weil ich dadurch die Besonderheiten einer gemalten Darstellung gegenüber der Wirklichkeit verstärken konnte.

Spiegelberger Stiftung: Sie haben sich dem Mainstream verweigert.
Karin Kneffel: Verweigerung trifft es nicht. Ich wollte mich auf meine Weise mit Malerei beschäftigen. Mich interessierte und interessiert die Arbeit meiner Kolleginnen sehr. Aber jeder sucht seine eigenen Fragen. Damals fand man an den Akademien kaum weibliche Vorbilder, die Malerei war hauptsächlich eine Domäne der Männer. Viele meiner Kolleginnen fühlten sich in der Fotografie, der Performance oder den Neuen Medien heimischer.

Spiegelberger Stiftung: Es heisst: «Man fängt an zu begehren, was man täglich sieht.» Malen Sie vor allem Dinge, die Sie gut kennen?
Karin Kneffel: Diesen Satz sagt Hannibal Lecter in dem Film «Das Schweigen der Lämmer» zu Jodie Foster! Ein unangenehmer Moment. Aber ja, manchmal interessiert mich das Nächstbeste. Aber nicht, weil ich es so gut kenne, sondern, im Gegenteil, weil es immer fremder und mysteriöser wird, je länger ich mich damit beschäftige und versuche, mir ein Bild davon zu machen. Wir können kein Ding so sehen, wie es ist, wir sehen immer die Vorstellung, die wir von den Dingen haben.

Spiegelberger Stiftung: In einer Ausstellung, die Sie 2009 in Krefeld gezeigt haben, sieht man die Dinge stets durch eine Scheibe oder einen Spiegel. Ist diese Distanz der eigentliche künstlerische Aspekt Ihres Werkes? Indem ich als Betrachter neben Ihnen stehe und dann Ihren Blick einnehme?

Karin Kneffel: Sie stehen ja im Normalfall zum Glück nicht neben mir, wenn Sie meine Bilder betrachten. Mein Blick als Urheberin des Bildes ist ein ganz anderer als der Ihre. Die Kommunikation sollte zwischen Ihnen und dem Bild stattfinden, da bin ich raus. Es ist ja auch nur scheinbar der Blick durch ein Fenster. Wir sehen so nicht. Wenn man in der Realität Tropfen an einer Scheibe anschaut, sieht man sie scharf. Das, was dahinter ist, verschwimmt. Wenn Sie aber den Raum hinter einer verregneten Scheibe betrachten, werden die Tropfen im Vordergrund normalerweise unscharf. Dieser fokussierte Blick ist in meinen Bildern ausgeschaltet. Alles findet auf einer Ebene statt, und man sieht alles gleichzeitig. Für mich entsteht dabei in gewisser Weise eine Ebene des Imaginären, in der ich Gegenwart und Geschichte verschmelzen lassen kann. Ich versuche, Wirklichkeit darzustellen und gleichzeitig in der künstlerischen Darstellung zu distanzieren und damit zu transformieren. Dadurch werden Sie als Betrachterin in gewisser Weise auch auf Distanz gehalten. Das ist mir recht.

Spiegelberger Stiftung: Sie nehmen gerne die Rolle der Beobachterin ein. Steckt dahinter Voyeurismus?
Karin Kneffel: Wenn man als Betrachter in einen unbekannten Raum schaut und dann noch durch ein imaginäres Fenster, schwingt immer etwas Heimliches, Verbotenes, Voyeuristisches mit. Da ich aber in den Bildern meistens auf die Darstellung von Menschen verzichte, lädt sich die Phantasie an den Interieurs selbst auf. Man wandert zwischen Zeiten, Erinnerungen und Vorstellungen, und alles ist miteinander verwoben.

Spiegelberger Stiftung: Sie sagen: «Ich trete in den Dialog mit Dingen wie mit Menschen.» Entstehen Ihre Bilder aus Dialogen?
Karin Kneffel: Kunst ist für mich Kommunikation. Ich versuche, mir ein Bild von der Welt zu machen und Fragen zu formulieren.

Spiegelberger Stiftung: Gehen wir oft zu sehr mit dem Kopf an Bilder heran und erkennen die wahre Schönheit von Dingen nicht mehr?
Karin Kneffel: Die wahre Schönheit – das ist eine schwierige Begrifflichkeit. Schon im Mittelalter sprach man von Schönheit als dem Glanz der Wahrheit. Was wäre dann aber unwahre Schönheit? Da müssten wir jetzt länger in die Philosophie einsteigen. Mir gefiel immer Kants Definition vom «interesselosen Wohlgefallen ». Ich würde mich freuen, wenn Menschen beim Betrachten meiner Bilder auch ihren Kopf benutzen. Schönheit wäre dann ein Urteil des Verstandes! Ich habe festgestellt, dass mich selbst Bilder oft nachhaltiger beschäftigen, die mir nicht direkt auf Anhieb ins Auge springen, sondern erst auf den zweiten Blick. Bilder, die es mir schwerer machen, halten oft länger.

Spiegelberger Stiftung: Alte Bilder wiederzusehen, sei für Sie wie alte Freunde zu treffen, haben Sie einmal gesagt. Welche Fragen stellen Sie alten Freunden?
Karin Kneffel: Erst fremdelt man ein bisschen, dann schaut man etwas genauer hin, um herauszufinden, wie es dem Gegenüber in den letzten Jahren ergangen ist. So geht es mir auch mit meinen alten, lange nicht gesehenen Bildern. Ich schaue, ob sie gut behandelt wurden, wie sie sich gehalten haben, ob sie Runzeln oder Schwundrisse bekommen haben. Dann freut man sich, wenn man sich noch etwas zu sagen hat, wie bei alten Bekannten. Meine Bilder haben sich gut gehalten, besser als ich. Meine Maltechnik scheint ganz gut zu funktionieren.

Spiegelberger Stiftung: Sie haben eine Ausstellung «Karin Kneffel und Meisterschüler» genannt und sind dafür kritisiert worden,weil das nicht gendergerecht sei. Ohne Sternchen und Unterstriche scheint es heute auch in der Kunst nicht mehr zu gehen. Verändert das etwas am Geschlechter Proporz oder an der Qualität der Malerei?
Karin Kneffel: Ich denke, dass gendergerechte Sprache wichtig und auch lange überfällig ist. Aber manchmal mache auch ich aus Gewohnheit Fehler. Auf einer Podiumsdiskussion hielt ich einmal ein Plädoyer für Frauen und benutzte für die Erklärung eines Sachverhaltes eine männliche Endung, worauf ich im Nachhinein von einer Frau aus dem Publikum gerügt wurde. Zuviel Pedanterie ist manchmal fehl am Platz, vor allem, wenn der Inhalt stimmt. Sonst schüttet man das Kind mit dem Bad aus. Dennoch sollte sich die Gleichbehandlung aller Geschlechter auch im Sprachgebrauch niederschlagen. An Akademien bewerben sich heute mehr Frauen als Männer. Ich habe einmal in einer Diskussion gesagt: «Wir stecken oben Frauen rein, und unten kommen Männer raus.» Das ist nach wie vor ein Phänomen. Man braucht sich nur Ausstellungsbeteiligungen, Stipendienvergaben oder die Sammlungen der meisten Museen anzuschauen, da trifft man immer noch auf wenige Frauen. Es gibt noch viel zu tun. Und solange Künstler wie Georg Baselitz öffentlich behaupten, dass Männer die besseren Maler sind, umso mehr.