Ateliergespräch Stephan Balkenhol
Mit Stephan Balkenhol haben wir einen Atelierbesuch bei einem Künstler absolviert, der zu den führenden Vertretern der zeitgenössischen figurativen Skulptur und den wichtigsten Bildhauern international zählt. Durch vier Dekaden Ausstellungsbetrieb in führenden Museen weltweit und seine hohe Sichtbarkeit im öffentlichen Raum, gerade auch in Hamburg, wirken seine Werke omnipräsent. Die PArt Foundation realisiert mit ihrem Partner NZZ aktuell ein Skulpturenprojekt seiner Signature-Pieces Frau und Mann. Im folgenden Gespräch verrät Balkenhol warum diese Werke für ihn besonders wichtig sind.
Bei meinem Besuch im Studio durfte ich dabei sein, als Sie den ersten Prototypen unserer Mann & Frau Bronzen-Serie bemalt haben. Als die Gesichter Kontur annahmen hatte ich das Gefühl ‚Jetzt hat er ihnen die Seele eingehaucht.‘ Sind die Gesichter ein Schlüsselmoment der Entstehung?
Mit dem Blick wird die Figur zu einem Gegenüber, zu etwas, das einem entgegen schaut. Ich verstehe meine Arbeiten als hölzerne Spiegel, sie sind Projektionsfläche und Reflexionsmoment gleichermaßen. Sie bieten Anlass zur Selbstbefragung und zur Imagination des Gezeigten – dafür ist der Blick maßgeblich.
Anfang der 80er Jahre hätte man mit der Formel figurativ, ästhetisch und klassischer Werkstoff das Rezept für künstlerisches Scheitern zusammenfassen können. In diesen Jahren feierten Sie jedoch ihren Durchbruch und konnten sich genau damit nachhaltig etablieren. Was ist da passiert?
Während meines Studiums war es regelrecht verpönt figürlich zu arbeiten, denn die figurative Skulptur hatte in der Kunst der 1970er Jahre keinen Platz mehr. Es war eine Art Diktum: Kunst muss autonom von der Abbildung sein. Dieses Verbot reizte mich und zugleich auch die Idee, die in der Moderne abgerissene Tradition der figürlichen Skulptur zu hinterfragen und mit veränderten Vorzeichen neu interpretieren. Es ist etwas Urmenschliches, die Realität und die eigene Existenz über Abbilder – seien es Zeichnungen, Malerei, Skulpturen, Fotos etc. – zu ergründen und sich ihrer zu vergewissern. Warum sollte dies jetzt nicht mehr möglich sein? Das war und ist die Vision, die mich in meinem Schaffensprozess getragen hat und bis heute beflügelt. Dabei habe ich es vermieden die Skulptur zum Überbringer von soziologischen oder religiösen Botschaften werden zu lassen, wie es in früheren Jahrhunderten üblich war. Meine Skulpturen konfrontieren den Betrachter mit Offenheit und Ambivalenz und stellen insofern mehr eine Frage als eine Antwort dar. Erst durch den Blick des Betrachters wird die Skulptur mit Inhalt gefüllt.
Eigentlich ist das eher eine Abschlussfrage, passt an dieser Stelle aber nun gut: Welchen Rat gaben Sie Ihren Studenten, wenn sie mit traditionellen Materialien und Techniken arbeiten möchten, um heute in der zeitgenössischen Kunstszene erfolgreich zu sein?
Es gibt keine überkommenen Techniken oder Materialien. Alles erfährt seine Gültigkeit durch die Verbindung von Inhalt und Form.
Sie haben bei einem der Hauptvertreter der deutschen Minimal- und Konzeptkunst, Ulrich Rückriem, studiert. Zwischen Ihnen beiden liegt künstlerisch das gesamte Spektrum bildhauerischer Ausdrucksmöglichkeit. Hat er Sie als Lehrer auf Ihrem Weg in die figurative Formfindung bestärkt?
Mein Lehrer Ulrich Rückriem hat ursprünglich auch figürlich angefangen, ist dann zur radikalen Reduktion gelangt und zurück zur konkreten Form, die nichts mehr abbildet. Ich bin den umgekehrten Weg gegangen. Ich gehe vom Material aus und komme dann zur Figur. Aber es gibt trotz der vordergründigen Gegensätzlichkeit Parallelen, zum Beispiel vom Material her. Ich verwende das Material so, dass ersichtlich ist, aus welchem Stamm die Figur kommt. Der Holzstamm wird oft als Sockelbasis belassen. Beat Wyss schrieb, dass ein Ikonoklasmus, nichts anderes ist als eine negative Bilderverehrung: Indem man etwas nicht zeigt, thematisiert man es trotzdem und zeigt die Macht oder die Kraft, die davon ausgehen kann, oder vielleicht auch die Furcht, die davor besteht.
Wenn Rückriem einen Stein nimmt und ihn durch Spaltung gliedert und ihm eine Struktur gibt, entstehen Volumina, in denen potenziell ein Mensch stecken könnte. Das ist sehr offengehalten und natürlich hat das erst einmal nichts mit Figur zu tun – aber mit Mensch auf jeden Fall. Jede Kunst hat mit dem Menschen zu tun und geht von ihm aus. Rückriem hat mich in meinem Weg gefordert und beflügelt, weil ich unter seiner Betreuung viel grundsätzlicher diese Fragestellung erforschen musste. Ich bin mir nicht sicher, ob ich zur Figur gekommen wäre, wenn ich unter einem Lehrer studierte hätte, der figürlich arbeitet.
2012 löste eines Ihrer Werke einen Sturm im Wasserglas aus. Die documenta Geschäftsführung ließ zu einer Arbeit zu Haupte der katholischen Sankt-Elisabeth-Kirche in Kassel wie folgt kommentieren: „Es stört erheblich. Die künstlerische Leiterin -Carolyn Christov-Bakargiev- fühlt sich von dieser Figur bedroht, die mit der documenta (13) nichts zu tun hat“. Aus Marketing-Perspektive ein Ritterschlag! Haben Sie sich über die Aufregung gewundert oder war das ein kalkulierter Affront?
Ehrlich gesagt, war ich überrascht über die Reaktion der Kuratorin. Meine Skulptur „Mann im Turm“, die ich auf Einladung der Katholischen Kirche in einer Begleitausstellung zur d13 in den Glockenturm der St.-Elisabeth-Kirche integriert hatte, sollte ein Störfaktor sein? Es störte, dass eine männliche Figur auf der Kugel stand und dass es überhaupt eine menschliche Figur war. Kurz, es störte, dass meine Arbeit im Außenbereich sichtbar war.
Carolyn Christov-Bakargiev beanspruchte Luft- und Deutungshoheit für die Kasseler Innenstadt. Sie verlangte den Abbau der Skulptur. Eine verkehrte Welt: Die Museen und allen voran die documenta, die die Freiheit der Kunst schützen und behaupten, zensieren, um einem kuratorischen Konzept gerecht zu werden. Und die Kirche, deren Machtanspruch in früheren Zeiten durch Künstler illustriert werden musste, schützt nun die Freiheit der einzelnen künstlerischen Position.
Subtiler Humor und konkrete Erotik stellen zwei wunderbare Konstanten Ihrem Werk dar. Wann setzen Sie diese ein? Folgt die Dosis einem bestimmten Rhythmus oder ist das stimmungsabhängig?
Meine Figuren sind Ausdruck meiner Suche nach den wesenhaften Grundzügen des Menschseins und dies in allen Facetten. Dazu gehören auch subtiler Humor und konkrete Erotik wie auch konkreter Humor und subtile Erotik... Ich habe gar nichts dagegen, wenn man meine Arbeiten mit Humor nimmt. Im Gegenteil sogar, Humor ist etwas, das uns hilft, Daseinsfragen auf einer anderen Ebene zu untersuchen und zu entschlüsseln.
Mann und Frau sind bei aller Niedrigschwelligkeit, die die Titel suggerieren, ihre Signature-Pieces und zu einer universell verständlichen Chiffre der zeitgenössischen Kunst geworden. Was charakterisiert die beiden und macht sie so erfolgreich?
Meine Skulpturen sind Prototypen des Menschen. Sie sind zeit- und sozialübergreifend. Ausgehend von meinen Beobachtungen, Erfahrungen und Emotionen versuche ich die Momente meiner Weltwahrnehmung in meinen Skulpturen so allgemein und universal zu formulieren, dass auch andere daran anknüpfen können. Wir erkennen in den Skulpturen unsere eigene Verletzlichkeit, Unentschiedenheit, unseren Zweifel und unsere Ohnmacht, aber auch unsere Neugier, unsere Lust, unseren Witz und schließlich auch unsere Endlichkeit.
Die handwerkliche Bearbeitung des Holzes ist ein signifikantes Merkmal Ihrer Arbeit. Mögen Sie uns Arbeitsprozess und die Bedeutung der sichtbaren Werkzeugspuren näher erläutern?
Holz ist im Vergleich mit Stein oder Ton nicht zu hart und nicht zu weich. Holz ermöglicht mir eine unmittelbare Bearbeitung, was für mich eine große Freiheit bedeutet: Ich brauche Arbeitsschritte und damit auch künstlerische Entscheidungen nicht abgeben, sondern kann jeden Arbeitsschritt selbst tätigen, sei es das Holz spalten, zuzusägen, bemalen. Als Bildhauer denke ich mit den Händen und das Material bestimmt dabei die Geschwindigkeit meines Denkens. Wenn ich mit Stein arbeiten würde, dauerte mir das viel zu lange und ich bin – zugegeben – viel zu ungeduldig. Ton hingegen ist mir oft zu willig, denn nahezu übereifrig nimmt er jeden Fingerabdruck auf und ein Ausdruck formt sich.
Sie arbeiten sowohl mit Holz als auch mit Bronze. Können Sie beschreiben, wie Sie jeweils das passende Material für ein Werk auswählen und welche Überlegungen dabei eine Rolle spielen?
Die Entscheidung ist dem Standort bzw. dem Zweck geschuldet. Für Außenskulpturen empfiehlt sich aus Gründen der Haltbarkeit Bronze genauso wie für Editionen kleineren Formats. Obwohl ich nie Holzfiguren abforme, sondern für Bronzeplastiken Modelle aus Ton, Wachs oder Gips fertige, ähnelt der Duktus der Oberfläche der Holzskulpturen. Mit selbstgefertigten Werkzeugen schlage, kratze und schneide ich beim Modellieren das weiche Material.
Ihre Skulpturen sind im öffentlichen Raum omnipräsent. Besuchen Sie die eine oder den anderen gelegentlich, wenn Sie mal in der Nähe sind?
Selbstverständlich schaue ich mir meine Arbeiten immer wieder gern an. Es ist wie der Besuch bei erwachsen gewordenen Kindern, die nun an ihrem jeweiligen Standort ihr Eigenleben führen.
Von Osaka über Moskau bis Washington haben Sie die wichtigsten Contemporary Art Museen bespielt. Westeuropa ist in ihrer Ausstellungsbiographie zudem ebenfalls ziemlich gut abgedeckt. Gibt es für Sie noch besondere Museen oder Orte, die Sie für eine Ausstellung oder eine Arbeit im öffentlichen Raum reizen?
Für Ausstellungen lasse ich mich immer von dem jeweiligen Land oder Ort inspirieren. Ich schaffe Arbeiten, die sich mit dem Raum, in dem sie gezeigt werden, auseinandersetzen. Mit Spannung arbeite ich zurzeit auf meine Ausstellung in der mittelalterlichen Halle La Llotja dels Mercaders in Palma hin. Ein spektakulärer Ort! Gern lasse ich mich von Anfragen und Einladungen überraschen, wie zum Bespiel eine Arbeit auf der Zugspitze oder auf dem Forum Romanum zu zeigen.