Ateliergespräch Thomas Schütte

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Thomas Schütte zählt international zu den einflussreichsten lebenden Bildhauern. Auf der 51. Biennale von Venedig wurde er mit dem Goldenen Löwen als bester Künstler ausgezeichnet. 2023 plant das MoMA New York anlässlich seines siebzigsten Geburtstags zu seinen Ehren eine Retrospektive. Mit seinen als United Enemies titulierten Arbeiten legte er Anfang der 90er Jahre den Grundstein für eine seiner zentralen Werkgruppen. Die für unseren Kooperationspartner die NZZ in Bronze ausgeführten vier Skatbrüder zeigen diese Schlüsselfiguren seines Werkes der letzten drei Dekaden in einem neuen Licht. Bei einem Atelierbesuch und einem Gang durch seine Skulpturenhalle spricht der Künstler mit der über die Edition, seine Arbeit als Bildhauer und Kunstmarkt im Allgemeinen.
Lieber Herr Schütte, sprechen wir doch direkt über Ihre aktuelle Werkreihe der Skatbrüder, deren Vorläufer, die United Enemies bereits Anfang der 90er Jahren entstanden sind.

TS: Die ersten Skulpturen sind aus Fimo, nicht
aus einfacher Modelliermasse geknetet. Fimo ist nicht so ganz billig und auch nicht überall erhältlich. Ich saß damals in Rom und habe in allen Bastelläden Fimo aufgekauft. Der Trick ist, die Figur hohl zu modellieren. Ich habe mir Lappen gerollt wie eine Art Kotelett, als Stabilisator. So konnte ich mit zwei Fingern das Gesicht kneten. Ein weiterer Vorteil des “hohl”- Modellierens ist, dass es schneller geht. Man hat da nicht drei Stunden Arbeit mit, weil man die Masse wieder wegnehmen muss, sondern nur 20 Minuten vielleicht. Dann haben alle Skatbrüder “Glatzköpfe”, weil sie während des Modellierens in der Hand liegen. Wenn ich sie andersrum anfassen würde, dann würde ich ja das Gesicht zerdrücken. Zunächst habe ich immer drei oder vier Stück am Abend gemacht. Danach kamen sie in den Backofen – aus diesem Grund endet die Büste in einer Stange, damit legt man die Figuren in die Gitter des Backofens. Fimo ist übrigens nicht unbedingt ein Kinderspielzeug, wegen der PVC-Dämpfe.
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Und bei dieser Edition? Wie aufwändig war die Erstellung und warum machte der Skatbruder Nr. 4, der ja ein wenig aus der Reihe fällt, die meiste Arbeit?


Man könnte denken, dass die großen Skulpturen so viel Arbeit sind. Aber die kleinen Sachen machen viel mehr Arbeit. Wie diese Edition: ich dachte, diese drei Männeken, das wäre eine Wiederholung wie vor 15 oder vor 20 Jahren. Aber dann hatte ich den Gedanken, da fehlt etwas. Deswegen
habe ich ziemlich lange gebraucht, auch bis ich den richtigen Hut hatte oder die richtige Glühbirne für Skatbruder Nr. 4. Das liegt am Hut - der muss in Wachs vorgeformt werden. Es dauert einfach recht lang. Negativ, Positiv und dann die Feinbearbeitung. Das sind die Prototypen. Dann kann es sein, dass sich die Patina noch ändert.  ...und jetzt ist Skatbruder Nr. 4 über Weihnachten auch noch gestorben...

Sie haben also selbst eine Skatrunde, auf die Sie sich in der Edition beziehen?

Ja, wir spielen seit 36 Jahren Skat. Es kommen ganz viele Witze und Geschichten aus dieser Skatrunde. Der Initiator war der Galerist Konrad Fischer. Er ist jetzt schon 27 Jahre tot. Leider fehlt uns nun auch wieder der vierte Mann. Das macht es ein bisschen emotional… es ist die Frage, wie das weitergeht. Man braucht eigentlich nur drei Leute, aber das ist sehr anstrengend in unserem Alter. Aber die Skatbrüder sind im Grunde etwas Universales: Alte Männer – wenn man zum Beispiel im Bus genau hinguckt, dann sieht man, die gibt’s so wirklich.

Sie haben einmal in einem Gespräch gesagt, dass die Skulpturen-Köpfe bei Ihnen alle Namen hätten, zumindest interne. Stimmt das?

Die ersten haben richtige Namen gekriegt, dann wurde das aber schnell anzüglich und ich habe die Namen verwechselt. Das ist natürlich schlecht, wenn man die Namen verwechselt. Dann macht das auch keinen Sinn. Jetzt haben sie einfach Nummern: A, B, C, 1, 2, 3. So können sie auseinandergehalten werden. Also ich muss gestehen... ohne Mitarbeiter kann ich sie auch so nicht auseinanderhalten.

 

Aber am Ende sind es immer Thomas-Schütte-Werke und keine Gemeinschaftsarbeiten mit dem Gießer oder Keramiker?

Sagen wir mal so: Ich baue Modelle – ziemlich präzise – aber manche Dinge kann ich mittlerweile ganz gut abgeben. Bei der momentanen Kälte in der Werkshalle fühle ich mich schon verpflichtet, dass meine Mitarbeiter keine acht Stunden arbeiten, sondern nur vier. Sie werden auch doppelt so gut bezahlt wie alle anderen. Das ist richtig harte Arbeit, aber ich kann es nur empfehlen: mit Profis zu arbeiten. Es ist sehr wichtig, sich zum Beispiel auf einen Profi-Drucker oder einen Profi-Keramiker verlassen zu können. Es ist ein Trugschluss zu denken, man könnte das alles selber machen. Das kriegt man nämlich nicht hin. Aber das muss bezahlt werden und zwar sehr, sehr gut, sonst stimmt die Qualität nicht.

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Wie lang arbeiten Sie so am Tag? Ist das unterschiedlich oder gibt es eine feste Struktur?

Ich tauche vielleicht um 12 Uhr im Büro auf und bin dann auch um 18 Uhr wieder weg. Das ist viel Verwaltung und telefonieren. Kreativ arbeite ich eigentlich nur einen Tag in der Woche. Ich rufe eine Stunde vorher an und sage: “Ich komme, macht das Tuch mal weg.” Das ist hocheffizient und meistens macht es Spaß.

Die Köpfe Ihrer Serien Old Friends Revisited oder United Enemies aus den 80er Jahren haben eine ähnlich ausdrucksstarke Mimik wie die Skatbrüder.

Vor vielen Jahren habe ich eine Edition gemacht, die ähnlich war wie die Skatbrüder. Nur hatte die Edition zwei Bronzeköpfe und eine viel längere Gewindestange. Die Edition war in einer Nacht ausverkauft. Plötzlich, 20 Jahre später, tauchen die Werke wieder auf und zwar in Auktionshäusern zu Wahnsinnspreisen. Ich habe mich immer gefragt, wer dahinter steckt. Jetzt habe ich es herausgefunden, ich sage aber nichts weiter dazu. Es ist ja nicht so, dass ein Auktionspreis außer der Gier mancher Leute irgendetwas abbildet. Ein realer Markt ist das nicht.

Ihnen gelingt es ganz gut, sich dem Kunstmarkt in weiten Teilen zu entziehen; zumindest, sich nicht diesem Druck auszusetzen, oder?

Zu entziehen ja, den Druck habe ich trotzdem. Aber dadurch, dass ich ein Lager habe unter der Skulpturenhalle ist ein großes Lager), bin ich nicht allzu abhängig. Wenn so eine Produktion rollt, mache ich statt vier dann 12 Köpfe, und behalte davon 6.

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Könnte man sagen, Sie verkaufen ungern?


Am liebsten verkaufe ich an Museen und ganz besonders an die, die schon Werke von mir haben. Dann kann sich der Schwerpunkt vertiefen, damit das Sinn macht. Aber an Zwischenhändler, die es drei Tage später bei Christie’s anliefern, verkaufe ich ungern. Es gibt einen ganzen Haufen von denen, die sich Galeristen nennen, aber gar keine sind. Die legen sich das ein Jahr lang hin und dann taucht es ohne jeden Kommentar in der Auktion wieder auf. Das passiert ganz regelmäßig, jetzt gerade wieder. So kommen verdoppelte Preise zustande bis zu dem Zeitpunkt, wo keiner mehr den Preis bezahlen kann und er dann wieder fällt. Dann hat man als Künstler den Schwarzen Peter.

Aber bei dem Lager geht es doch sicherlich auch darum, dass Sie jederzeit große Ausstellungen bestücken können?

Die letzten großen Ausstellungen konnte ich nur machen, weil mehr als die Hälfte der Exponate von mir kam. In Bregenz waren glaube ich 95% von mir. Man denkt immer, die großen Museen haben extrem viel Geld. Das ist aber nicht so, die müssen auch gucken, dass es bezahlbar ist. Besonders in Zeiten, wo sie nicht 20.000 Besucher am Tag haben. Selbst das MoMA geht in die Knie, wenn die sich zu viel leihen müssen. Da ist so ein großes Lager natürlich ein schicker Vorteil und es sieht zudem sagenhaft aus. Ich darf da gar keinen reinlassen! So ein schönes Lager hat kein Museum. Manchmal kriege ich deshalb auch alte Arbeiten zurück. In so einem halben Tauschverkehr, wenn die Sammler zu alt werden, und mit so einem Spanplattentisch aus den 80er Jahren nicht mehr leben wollen. Dann nehme ich die Werke auch gerne zurück.

Überraschen Sie manchmal Ihre eigenen Arbeiten nach so langer Zeit?

Ja, manche… ich bin gesegnet neuerdings, mit einem Vergessen…[lacht]. Aber naja, meine Arbeit macht nach wie vor Spaß.

Vielen Dank, Herr Schütte.

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Das Gespräch mit dem Künstler führten Dr. Anke Brack und Rene Spiegelberger am 31.01.2023 in der Skulpturenhalle Neuss der Thomas-Schütte-Stiftung.