Cosima Hawemann - Pentimentalreise

Das Buch beinhaltet 40 Abbildungen und Ausstellungsansichten der Einzelausstellung Pentimentalreise von Cosima Hawemann in der KUNSTSAMMLUNG NEUBRANDENBURG und lyrische Prosa von Daniel Kirschbaum, der sich auf die Arbeiten von Cosima Hawemann bezieht. Zu der Publikation erscheint im November 2024 eine Vorzugsausgabe mit einer Originalarbeit der Künstlerin auf dem Leineneinband  zum Preis von 250 EUR. Reservierungen nehmen wir unter editionen@part.foundation entgegen.
Image
Image

Tabubruch Romantik

Ist Romantik ein Tabubruch, wenn Provokation dies nicht mehr vermag? Vielleicht tatsächlich, weil sie doch offensichtlich wider die Vernunft ist. Während Soziologen dieser Tage noch in der Begriffsdefinition zwischen Multikrise, Dauerkrise oder Polykrise schwanken, erscheint bereits die wieder erlaubte Malerei vielerorts als neuerlicher Anachronismus. Aber ist es nicht heilsam Sorgen, Hektik, Reizüberflutung oder urbaner Einsamkeit etwas entgegenzuhalten? Vielleicht auf einer vertrauten Basis in der Kunst einen Kraftort zu schaffen, an dem die Seele verweilen kann. Ein geistiger Raum mit universellem Charakter und positiver Symbolik vermag dies. Wir haben alle unsere Suche danach im Sinn und das Glücksgefühl im Herzen, wenn wir ihn aufgespürt haben. Es war eine Gotteserfahrung, eine Seelenverwandtschaft oder ein Naturerlebnis, die uns dies schon einmal spüren ließ. Es fühlt sich an, wie das was Heimat meint. Das Heimat auch dort sein kann, wo ich niemals zuvor war, kann Kunst beweisen. Cosima Hawemann ist das mit ihrer Show Pentimentalreise gelungen. Einen Teil dieser Reise schließt einen Waldspaziergang nach Ivenack ein. Ein Ort der die Mystik von Baumriesen atmet. Sie sind die Größten, die Ältesten, die Verwunschensten und Sagenumwobendsten. Sie heißen die Tausendjährigen Eichen und sind es wohl doch noch nicht ganz, aber die Ewigen sind sie, denn so fühlen sie sich an. Den kapitalsten fünf dieser Baumpersönlichkeiten, wie die Künstlerin sie selber nennt, hat sie nun ein malerisches Denkmal gesetzt.  Der Betrachter der Werke kann etwas erleben, was der Künstlerin unmöglich war. Er kann in das Werk eintauchen und den alten Geschichten lauschen, die das zentrale Triptychon der Ausstellung zu verströmen scheint. Aufgeladen mit diesen Impressionen macht er sich dann vielleicht, wie ich, auf den Weg zu dem Volk von Titanen, einem Naturmonument in dem unweit gelegenen Ivenacker Tiergarten. Diesen romantischen Titel (für mich unklar. Titel des Gedichts lautet Die Eichbäume. „Volk von Titanen“ ist eine Zeile des Gedichts. Titel meiner Serie heißt Ivenack.) verdanken sie, wie könnte es anders sein, einem großen Romantiker, welcher es so mit Mühe und Geschicklichkeit in diesem Text fast noch geschafft hätte vor Caspar David Friedrich Erwähnung zu finden, nämlich der Wahltübinger Friedrich Hölderlin. Selbstverständlich ergreifen einen im Angesicht eines solchen über dreißig Meter hohen und mindestens 850 Jahre alten Baumriesen sogleich Ehrfurcht und Demut. Lediglich einen kurzen Augenblick später fragte ich mich jedoch bereits, welche Eiche entspricht welcher Leinwand und was eigentlich ist eine Pentimentalreise? Während sich die Eichen, trotz jahreszeitlich bedingt veränderter Belaubung bald zuordnen lassen, lag der Schlüssel zum Ausstellungstitel tiefer vergraben. Die atelierfrische Wortskulptur Hawemanns leitet sich von dem zu Unrecht in unserem Sprachgebrauch vernachlässigtem Pentimenti, dem Reuestrich ab. Wenn es mit oder durch diese Reue aber dann doch gleich eine Reise sein soll, dann dürfte das Fazit der Künstlerin bei diesem Oeuvre höchstens lauten Non, je ne regrette rien. Weder die Folge starker und sinnlicher Damen, die auf selbstbewusste Art aus ihrer Zeit gefallen zu sein scheinen oder die Petersburger Hängung, die uns durch die Fenster eines Hochsitzes auf unterschiedlichste Landschaftsdarstellungen blicken lässt, noch die Hommage an den Wanderer, geben Anlass zur Reue. Vielmehr scheint Pentimentalreise mit seinem Ivenack-Zyklus einen Kreis zu schließen, der das Werk der Künstlerin auf eine neue Ebene erhebt. In der Natur der Sache einer Übersichtsschau liegt, dass nicht alles neu ist, sich jedoch vieles folgerichtig zusammenfügt. Im Optimalfall wirkt das Ergebnis dann stärker als die Summe seiner Einzelteile und klingt entsprechend nach. Ich spüre diesen wohligen Nachklang und lese ihn als schlüssige Antwort auf die Romantik-Renaissance, die nicht zuletzt das große Caspar David Friedrich Jubiläum international ausgelöst hat. Er unterbreitet ein Angebot  für Ruhe in unruhigen Zeiten, welches heute wieder begierig angenommen wird. Dennoch stellt uns auch die Romantik vor Herausforderungen. Sie konfrontiert uns mit unserer eigenen Endlichkeit im Angesicht einer scheinbar allmächtigen Natur. Die Sehnsucht, die sie in uns auslösen möchte, konfrontiert uns mit einer Sagen- und Mythenwelt, deren Ratio sich unserem Verstand entzieht. Die verfallenen Hütten Hawemanns, die wir getreu der romantischen Symbolkunde als gotische Ruinen lesen dürfen, werfen somit existentielle Fragen auf. Sie verleiten gleich wie dieser besondere Blick in die Landschaft zu einem kleinen Exkurs über den Sinn und die Bestimmung unseres weltlichen Wirkens. Dankenswerterweise steht dieser uns modernen Post-Romantikern auch ohne aktive Internet-Verbindung, aber mit ein wenig Muße jederzeit offen. Schicksalsergebenheit oder Gottvertrauen bleiben dabei stets eine legitime und optimistische Antwortoption.

 

Rene Spiegelberger im März 2024

Image