Unikat V - Marc Lüders

Photopicturen

Mit Marc Lüders stellen wir einen Künstler vor, der zwei Medien, die Fotografie und die  Malerei, miteinander verschränkt und zu einem Dialog über Realitäts- und Illusionsebenen einlädt. Er bringt die malerische Technik (Pinsel und Öl) unmittelbar in das selbst aufgenommene fotografische Bild ein, um experimentell eine Verschmelzung herbeizuführen. Sobald die Divergenz der Darstellungsebenen wahrgenommen wird, stellt sich auch die Verschiebung in der Wertigkeit des Bildes dar.

Für diese künstlerische Technik führt Lüders den synthetisierenden Begriff „Photopicturen“ ein. Der Künstler stellt sich mit seiner Position bewusst in einen komplexen, ästhetischen und kunsttheoretischen Kontext und führt damit die Diskussion zur Medienreflexion weiter. Mit seinen „Photopicturen“ operiert Lüders genau im Zentrum der Verwerfungs- und Verbindungslinien zwischen malerischem und fotografischem Diskurs.

Der Intendant des Kunstmuseums Bonn, Stefan Berg, erkennt in Lüders Werk zwei Hauptstränge, die sich wie folgt charakterisieren lassen:

Nach Berg gehören zum ersten Hauptstrang insbesondere die

  • systematische Verknüpfung zwischen gemaltem und fotografischem Motiv
  • Konfrontation zwischen Malgeste und Fotografie.

Marc Lüders, Objekt 648-2-2

Schwarz-Weiß-Aufnahmen und Farbfotografien von Räumen und suburbanen Peripherien, in die Lüders merkwürdig abwesend wirkende, gemalte Personen eingestellt hat. Die gemalten Figuren gehen dabei auf Aufnahmen zurück, die Lüders etwa von an Fußgängerampeln wartenden Personen in New York gemacht hat. Aus diesem „Figuren-Archiv“ bedient sich Lüders gezielt, um sie dann nach mehrfachen Bearbeitungsschritten auf das Foto zu projizieren und in Malerei zu übertragen. Die dialektische Verknüpfung zwischen Foto und
Malerei funktioniert dabei auch deswegen so gut, weil Lüders die Situationen für seine Fotomotive stets schon im Hinblick auf die zu integrierenden Personen auswählt.
Es sind rätselhafte und ungewöhnliche Zusammenstellungen, die sich in Lüders Bildwelt dem Betrachter öffnen und zum Nachdenken über den Wahrheitsgehalt von Realität und Virtualität anregen. Auf der Ebene der beiden verwendeten Medien findet eine ähnliche Form der Destabilisierung statt. Die durch des Malers Hand sichtbar gewordenen Personen, aber auch die seltsamen und undefinierbaren durch den Bildraum fliegenden Objekte sorgen für eine gewisse Surrealisierung des fotografischen Umfeldes, während andererseits der fotografische Kontext die malerische Behauptung ein Stück weit dementiert und zersetzt. Diese bewusst von Lüders eingesetzte Dekontextualisierung, ist wichtig für das Spannungsverhältnis zwischen Malerei und Fotografie in seinem einmaligen Werk und zeugt von seiner meisterhaften Beherrschung der Medien Malerei und Fotografie.

Marc Lüders, 244-6In Lüders Werk können wir sehen, wie uns die Wirklichkeit im Bild immer wieder entgleitet und kontaminiert wird durch die wechselseitig verschiedenen Ansprüche der Medien Fotografie und Malerei:

Wenn beispielsweise eine der Farbfotografien aus dem Werkkomplex Bismarckbad tatsächlich nichts als einen Ausschnitt eines trockengelegten Schwimmbeckens darstellen soll, dann dürfte sich dort eben nicht ein die Farben der Umgebung aufnehmender Schatten werfender Farbkörper in Kachelhöhe breit machen, der seinerseits ebenso selbstverständlich auf seinem repräsentativen Recht beharrt, wie das sein fotografischer Umraum tut.

Bedenken wir, dass Lüders Photopicturen inmitten der uns alle erfassenden Medienrevolution angesiedelt sind: In den letzten fünf bis zehn Jahren hat sich die Welt der Bilder rasant verändert und im Medienzeitalter von iPads, Smartphones und Internet sind wir mittlerweile „hautnah" von Bildern eingesponnen. Marc Lüders ist ein Künstler, der es mit so einfachen wie wirkungsvollen Mitteln schafft, ein abgeklärtes Spiel mit den Prinzipien der Illusion zu betreiben, und uns zur Reflexion in den Bildräumen seiner Photographien einlädt - kurz uns einen Denkraum eröffnet.

Lüders gelingt es dem Betrachter vor Augen zu führen, dass das produktive Paradox seiner Photopicturen demnach darin liegt, dass sie zeigen, wie ähnlich sich scheinbare Abstraktion und scheinbare Gegenständlichkeit in Wirklichkeit sind, wenn man sie auf einer Bildebene zusammenbringt. Der gestische Selbstausdruck des Pinsels lädt sich auf den Fotos ebenso mit einer narrativ-gegenständlichen Energie auf wie er andererseits auch die Realitätshaltigkeit des Fotos unterminiert. Lüders Arbeiten liefern den Beweis dafür, dass die Wirklichkeit im Bild tatsächlich in ihrer Bildwirklichkeit besteht. Mit seinen Photopicturen hat Marc Lüders Projektionsflächen geschaffen, die mit ihrem Bildarrangement Freiflächen für unsere Gedanken öffnen und durch ihre ästhetische Integration Raum für Auslegung, Interpretation, Kommentar, Parodie, mithin zeitlose Vergegenwärtigungspraktiken dem Betrachter bieten.

Alexander Sairally