Ateliergespräche - Anselm Reyle

 Herzlich Willkommen, hier an einem außergewöhnlichen Ort im Künstleratelier von Herrn Prof. Anselm Reyle. Ich freue mich, dass wir an berufener Stelle Gelegenheit bekommen, über das Thema Anlageperspektive und Vermögensdiversifikation in Contemporary Art – in die zeitgenössische Kunst – zu sprechen und sage ganz herzlichen Dank, dass wir hier sein dürfen. Im angelsächsischen Kulturraum gilt der Unternehmer oder Manager, der eine Insolvenz durchlaufen oder eine Sanierung durchlebt hat, als der, der die Feuertaufe bestanden hat. Brüche in Künstlerbiografien sind hingegen eher ungewöhnlich. Gibt es trotzdem bei diesem Malus, den man aus der deutschen Perspektive auf so eine Biografie sieht, Parallelen im Kunstbetrieb, die man ziehen könnte?

 Ja, also es ist glaube ich im Kunstbetrieb nicht Gang und Gäbe, zu sagen: Ich mache eine Pause, und die dann auch offiziell zu machen. Für mich war es notwendig, weil ich eigentlich nie Unternehmer werden wollte. Das ist eher so passiert, würde ich sagen, dass ich angefangen habe, mit Assistenten zu arbeiten, und dass ich auch gemerkt habe, dass das Teil meiner Technik ist, mit einem Team zu arbeiten, um letztendlich selbst eine größere Distanz und Objektivität auch zu meinen Arbeiten zu bekommen. Und diesen Alltag wollte ich irgendwann wieder hinterfragen und auch letztendlich aufbrechen, um die Weichen neu zu stellen.

 Das war 2014, Sie haben damals gesagt: „Ich pausiere“ und haben sich zwei Jahre lang aus dem Kunstschaffen zurückgezogen. Was hat das persönlich mit Ihnen gemacht?

Also für mich war das eine Notwendigkeit: Je länger ich mir das überlegt habe, zu pausieren, desto besser hat sich das angefühlt. Und es war natürlich nicht so einfach, ich hatte ja auch eine Menge Leute beschäftigt, die zwar wussten, dass das Ganze nicht unbedingt auf Dauer sein würde oder muss – das habe ich eigentlich immer von Anfang an kommuniziert…

 Vielleicht gehen wir mal auch direkt den nächsten Schritt: Hat Ihr künstlerisches Schaffen heute für Sie eine andere Wertigkeit? Also unterscheiden Sie zwischen vor und nach dem Break, oder tun Ihre Sammler das?

 Also es gibt formal wahrscheinlich schon Unterschiede, weil ich mir eben in dieser Pause überlegt habe, wie mache ich weiter? Das war erstmal komplett offen. Werde ich jetzt Aquarellmaler oder so?

 [lacht]

 Das war also völlig unklar, was da geschehen wird, und das wollte ich auch ganz bewusst so offen halten. Und ich bin teils zu meinen Wurzeln zurückgekehrt, die nämlich eher so in der gestischen Malerei liegen.. Ja, auch diese spontane, offene Reaktion war mir immer sehr wichtig. Dahin bin ich zum Teil wieder zurückgekommen, dass ich sehr viel mit Fehlern, mit Zufällen arbeite, dass ich erst während des Prozesses Entscheidungen fälle, dass das Bild nicht von Anfang an feststeht, im Grunde genommen. Also weniger Konzept, mehr im Prozess zu arbeiten. Insofern sieht man schon, was davor und was danach entstanden ist. Also diese ganze Vorbereitung ist ein relativ langer Prozess, bis überhaupt diese ganze Fläche so auf diesem Jutestoff steht, wie sie es jetzt tut. Diese Prozesse gebe ich dann ab. Es gibt davor ein grobes Konzept für das Bild, da sieht man so die Aufteilung, das ist dann hier… das. Was hier violett ist, ist jetzt neon-orange, denn das Neon-Orange wird lediglich der Untergrund sein und das Violett mache ich jetzt drauf. [Arbeitsgeräusche, Anweisungen auf Englisch]. Ich kann dann, wenn das ab ist und trocken ist, noch ein paar Details ändern. Aber das Grobe ist dann jetzt eigentlich schon klar.

 Sie sind mit einem riesigen Paukenschlag bei dem internationalen Format des Gallery Weekends wieder da gewesen, haben eröffnet mit einer völlig neuen Werkserie, den großen Vasenskulpturen. Ich kann mich da noch sehr gut dran erinnern, es war das Thema des Gallery Weekends. Was ist noch neu entstanden in dieser Zeit?

 Also die Keramiken habe ich dann mal in der Pause angefangen, einfach mal zu testen für mich und mich haben diese Vasen der 70er Jahre interessiert. Diese sogenannten Fettlava-Vasen, die man auch auf dem Flohmarkt oder bei Trödlern findet. Was darauf passiert ist, ist eigentlich eine Form der Malerei mit den Glasuren, die dann anfangen zu laufen, und dann wie so drippings, wie so Schüttbilder sind, und insofern eine Parallele zu meinen jetzigen Malereien bilden. Wo jetzt auch mit Oberflächenfarben experimentiert wird, mit Fehlern, mit Dingen, die zufällig entstehen und ja, das geht so miteinander einher.

 Materialien ist ein spannendes Stichwort, weil ich den Eindruck haben, Sie entkontextualisieren da sehr viel, also Sie verwenden Folien, Farben, Industriematerialien, aber eigentlich kommt eine Sache gar nicht vor und das sind klassische Materialien, die man normalerweise in einem Künstleratelier gewohnt ist. Also es sind dann aus der Autoindustrie, aus allen möglichen Bereichen – Folien werden teilweise extra für Sie produziert –, Fundstücke, sowas spielt alles eine Rolle. Das klingt für mich so ein bisschen nach Laborcharakter, nach Versuchsanordnung. Spielt da ein System von trial and error bei Ihnen eine Rolle?

 Das auf jeden Fall. Es hat sich glaube ich jetzt in der Pause ein bisschen was verändert, zum Beispiel wie Keramik, also Ton, auch ein sehr natürliches Material ist, so ist das auch in der Malerei ein sehr natürliches Material als Bildträger hinzugekommen, nämlich Jute. Also ich mache jetzt Malerei auf einem Jutestoff, was man ja eher so aus den 50er und 60er Jahren kennt, aus der informellen Malerei zum Beispiel, Arte Povera vielleicht. Da setze ich dann meine Folie dagegen, was der größtmögliche Gegensatz ist, und das ist etwas, das sich dann vielleicht auch nach der Pause  geändert hat, woran man das vielleicht auch erkennt. Und da interessiert mich eben speziell der Kontrast, die größtmögliche Künstlichkeit, diese reflektierende Folie aus dem Schaufenster, und dann eben dieser Jutestoff als Bildträger, wie das so gegeneinander arbeitet.

 Sie sind vom Typus her, wie Sie mir in unserem Vorgespräch verraten haben, auch ein Sammler. Was war das letzte Werk, das Sie selber für sich erworben haben und was hat Sie dazu motiviert?

Also das letzte Werk war jetzt eigentlich eine romantische Zeichnung aus dem 19. Jahrhundert von Julius Schorr von Carolsfeld, die kam jetzt vor zwei Tagen an. Aber ich kann natürlich auch viel tauschen mit Künstlerkollegen, die ich sehr schätze, die ich dann frage oder die mich fragen. Sowas kann man ja als Künstler ganz gut machen, wenn man sich gegenseitig schätzt. Ich selbst interessiere mich stark für die Romantik, das war für mich ein ganz wichtiger Punkt, vor allem die deutsche Romantik. Vor allem auch natürlich Caspar David Friedrich, Philipp Otto Runge, was man so in Hamburg auch sieht. Deshalb bin ich froh, dass ich in Hamburg unterrichte, und ja, da habe ich in letzter Zeit die eine oder andere Arbeit erworben. 10.05

 Sie haben die HfbK in Hamburg angesprochen, viele Künstlerkollegen der letzten Generation, auch Joseph Beuys und Franz-Erhard Walther, aber auch Karin Kneffel oder für die Foto-Kunst gesprochen, Ernst und Hilla Becher, zeichnet neben ihrer eigenen künstlerischen Arbeit aus, dass sie auch eine bemerkenswerte Anzahl von im Markt und bei Sammlern begehrten Meisterschülern hervorgebracht haben. Auch der Blick in Ihre Klassen lässt die Vermutung nahekommen, dass Sie als Lehrer zum einen sehr beliebt sind und zum anderen ganz viel richtig machen. Was macht einen guten Lehrer in der Kunst aus?

Ich glaube vor allem die Gabe, sich vielleicht nicht nur für sich selbst zu interessieren, für die eigenen Arbeiten, sondern eben auch für andere, und vielleicht gehört auch eine bestimmte Bereitschaft oder Fähigkeit zur Kommunikation, zum Austausch dazu. Also ich versuche auch, die Studierenden dann möglichst auch als Kollegen wahrzunehmen, möglichst bald sozusagen, und sie auf einen Weg zu bringen, der sie eigenständig arbeiten lässt. Das muss man glaube ich sehr individuell tun, es gibt eigentlich kein Rezept „so entsteht gute Kunst“, das ist bei jeder Person anders. Vielleicht auch zu erkennen, wenn etwas nichts werden kann und das auch frühestmöglich anzusprechen, wenn man merkt, dass da vielleicht jemand nicht am richtigen Ort ist. Was sich vielleicht geändert hat, ist, dass es doch Studierende gibt, die mit der Motivation an die Hochschule gehen: Ich werde erfolgreicher Künstler oder ich werde erfolgreiche Künstlerin. Das gab es zu meiner Zeit… [lacht] gut, also vielleicht gab es ein paar, aber die wurden nicht ernst genommen. Also ich glaube, die Präsenz der Galerien und so, der direkte Einfluss des zeitgenössischen Kunstgeschehens auf die Studierenden ist heutzutage viel größer, als er früher war. Sie sind natürlich auch viel informierter. Ich selbst habe eigentlich gar nicht mit dem Anliegen studiert, erfolgreicher Künstler zu werden, sondern ich wollte eigentlich Kunst als meine Sprache kennenlernen oder erstmal finden. Das war eigentlich mein Hauptanliegen. Und dass daraus ein Erfolg entstehen kann, das kam eigentlich wesentlich später. Ich habe eigentlich erstmal komplett gegen das Zeitgeschehen gearbeitet, ich bin sehr viel angeeckt und habe an der Hochschule so gut wie gar keine Anerkennung bekommen, weil ich damals absolut anachronistisch gearbeitet habe. Und das rate ich den Studierenden auch, dass sie nicht das nachmachen, was gerade on the top ist, was sie gerade in Kunstzeitschriften sehen. Natürlich hat das einen bestimmten Einfluss, aber wenn sie das nachmachen, sind sie eigentlich schon zu spät. Sie müssen selbst Maßstäbe versuchen zu setzen, sie müssen ihren ganz eigenen Weg finden und erstmal vielleicht auch ganz unabhängig vom Erfolg einfach schauen: Was interessiert mich und wie kann ich meine eigene Sprache finden. Aber dafür muss ich auch erstmal wissen, wer ich überhaupt bin, und das kann ich vielleicht über die Kunst rausfinden. Das rate ich eigentlich den Studierenden.

 Ich versuche noch mal den Bogen zu schlagen zu dem, worüber wir am Anfang gesprochen haben: Das Atelier, der besondere Ort. Aber eben auch ein Ort, der heute etwas anders ist, nicht nur wegen der akustischen Veränderung, sondern weil wir normalerweise hier im Hintergrund ganz viele helfende Hände Ihrer Assistenten sehen, die hier arbeiten. Legendär war dafür die Factory mit einer Riesenschar und einer Riesenproduktion. Aber viele wissen gar nicht, dass sich auch die Meister der Renaissance schon teils großer Stäbe an Assistenten bemüht haben und diese ihnen behilflich waren. Wie ist das heute, das Verhältnis von output, welche Rolle spielt das und wie sehr ist es aber auch an anderer Stelle zwingend erforderlich, dass Sie sagen: Das mache nur ich, das ist Anselm Reyle persönlich?

 Ich glaube auch, so wie Sie sagten, es gibt eine lange Tradition, in der Renaissance gab es große Künstlerwerkstätten, in der Moderne allerdings nicht. Und ich glaube, das ist der Punkt, der die Leute verunsichert hat. Als ich studiert habe, gab es glaube ich ganz wenige Künstler, die mit Assistenten gearbeitet haben, ich habe zumindest sehr wenige gekannt. In der Moderne ist es so, vor allem in der abstrakten Malerei, dass die Gestik eine große Rolle spielt, und die Gestik muss natürlich vom Künstler selbst gemacht sein, die kann nicht von anderen gemacht sein. Und das ist glaube ich so der Punkt, der die Leute verunsichert hat: Was, ein abstraktes Bild, das ist nicht mal vom Künstler selbst gemalt? Ich würde sagen, ich male das selbst, was ich selbst malen muss, nämlich dort, wo eine eigene Handschrift sichtbar wird, wo es um formale Entscheidungen geht. Und die Dinge, die ich nicht selbst machen muss, nämlich Bildträger vorbereiten, bestimmte Farbflächen vorzubereiten, einen schwarzen Lack zu legen, das sind alles Dinge, die muss ich nicht selbst machen. Das sieht im Endeffekt niemand, ob ich das gemacht habe oder jemand anders. Und mir liegt es sehr stark, parallel an verschiedenen Dingen zu arbeiten. Das wäre nicht möglich, wenn ich jedes Bild komplett nur alleine machen würde. Also es gibt da mehrere Gründe und natürlich war es in der Zeit, als ich damit angefangen habe, auch in gewisser Weise eine Provokation, weil ich mir das selbst schlecht vorstellen konnte.

 Ein schönes Schlusswort! Lieber Anselm Reyle, es war mir eine Freude. Kunst und Markt, ein weites Feld. Wir haben es einmal gemeinsam umrundet, danke für die Hintergründe, wir haben viel gelernt.

 Vielen Dank auch.

Das Gespräch mit Anselm Reyle führte Rene S. Spiegelberger am 7. Januar 2021 im Atelier des Künstlers.