Ateliergespräch - Simon Schubert
Samuel Beckett gestehen Literaturkritiker heute ab ‚Warten auf Godot‘ 1952, spätestens aber ab dem ein Jahr später veröffentlichten ‚Der Namenlose‘ die künstlerische Herausarbeitung eines bis dahin einzigartigen und völlig losgelösten Erzählstils zu. Für wie wichtig erachtest Du eine nicht nur inhaltliche sondern auch stilistisch neue Position für einen Künstler?
Beckett brachte die Sprache an den Rand der Auflösung auf mehreren Ebenen, formal wie inhaltlich. Dieser Aspekt an Becketts Werk interessiert mich künstlerisch. Ein Künstler muss nicht immer eine inhaltlich oder stilistisch neue Position erschaffen. Ein Künstler muss einen eigenen, singulären Blick auf die Welt entwickeln und mit seinen Mitteln transportieren, ein sogenannter Fortschritt in der Technik ist sekundär.
Die Differenz zu anderen Positionen interessiert mich mehr. Dies kann sowohl mit tradierten Kunsttechniken wie Malerei, Skulptur, Zeichnung, aber auch mit modernsten technischen Mitteln geschehen. Daher denke ich, dass die vielseitigen Totsagungen verschiedener Techniken überflüssig sind. Ich sehe das Neue in der Einzigartigkeit des Ausdrucks.
In einer Zeit, in der man als Künstler ständig mit der These konfrontiert wird, dass bereits alles existent sei, hast Du eine völlig neue Sprache zwischen Zwei- und Dreidimensionalität entwickelt. Mit höchster Präzision und maximalem geometrischen und architektonischen Anspruch entstehen in Deinem Werk komplexe Raumszenarien, Architektur-Kreationen oder Porträts. Wird die Faltung auch in Zukunft integraler Werk-Bestandteil bleiben?
Die Faltungen werden sicherlich weiterhin ein zentraler Teil meiner Arbeit bleiben. Ich betrachte und behandle Papier aus der Sicht eines Bildhauers. Auf dem Papier sind keine Striche wie bei einer Zeichnung zu erkennen, sondern durch positive und negative Faltung entstehen reliefartige Erhebungen, die durch Licht und Schatten das Bild formulieren. Interessant finde ich hierbei das Zusammenspiel zwischen der Auflösung des Bildes, je nach Lichtverhältnissen und der Idee Architektur als komplex gefaltete Oberfläche zu verstehen.
Die Papierfaltungen verändern sich mit dem Verlauf des Tageslichts. So ist das Dargestellte mal nur schwach und dann wiederum sehr deutlich zu erkennen. Die Bilder befinden sich zwischen Zwei- und Dreidimensionalität, was durch die Faltung von Spiegeln und Durchbrüchen noch verstärkt wird. Hierbei entsteht eine immer weiter gehende Ver- schachtelung und ein Wechselspiel zwischen Raum und Abbild von Raum.
Auch wenn Beckett heute unter Literaturkennern hoch geschätzt wird, gilt er doch als literarischer Außenseiter. Man muss also konstatieren, dass ihm seine Stilistik zwar den Literatur-Nobelpreis eintrug, er dennoch zunehmend in Vergessenheit gerät. Große Teile Deiner Arbeit sind eine Hommage an ihn. Möchtest Du seine Arbeit präsent halten oder geht es Dir doch mehr um die inhaltliche Auseinandersetzung?
Es geht mir um eine inhaltliche Auseinandersetzung und ein Anknüpfen an sein Werk. Becketts Werk hat sicher großen Einfluss auf meine Arbeit. Ich denke, Beckett hat mit seinen Texten, Videostücken und Theaterstücken die Literatur so nachhaltig verändert, dass auch keine Gefahr besteht, dass er oder sein Werk in Vergessenheit geraten könnte.
Wie wichtig ist Dir die Klammer der mathematisch-geometrischen Komponente, ohne die keine Architektur funktionieren kann? Oder ist dies sogar ein Teil dessen, was die hohe Identifikation zu Beckett stiftet, wenn er beispielsweise in seinem ‚Spiel’ die handelnden Charaktere mit F1, M und F2 benennt, wohinter man doch eher den Graph von F1 und F2 als den Protagonisten eines Dramas erwartete.
Die mathematisch-geometrische Komponente ist eher Mittel zum Zweck, die Voraussetzung, um ein bestimmtes Bild zu erzeugen. Bei Beckett verstehe ich dies als Methode der Dekonstruktion oder Reduktion.
Eine absolut minimale Charakterisierung der Figuren. M könnte hier als Mann und F1 als erste Frau und F2 als zweite Frau verstanden werden. Aber sicherlich fließt bei Beckett auch die Mathematik bzw. Geometrie in das Werk ein, zum Beispiel in der Choreographie der Stücke Quadrat I und Quadrat II.
Deine Arbeiten bestechen in ihrer ersten Wahrnehmung durch hohe Ästhetik und künstlerische Qualität. Bei genauerem Betrachten kann jedoch auch ein weißes Blatt Papier ein beklemmendes Gefühl hervorrufen. Der Betrachter fühlt sich häufig in eine nicht näher bestimmte Umgebung versetzt, die entrückt, fast surreal anmutet. Woher stammt bei einem so positiven Künstler-Charakter wie Dir der Rote Faden der Melancholie in der Arbeit?
Ich beschäftige mich mit essentiellen Fragen und die Melancholie mit ihrer langen Tradition in der Kunstgeschichte schließe ich für meine Arbeit nicht aus. Die leeren Räume sind auch als Reminiszenz an Samuel Becketts Werk zu sehen.
Somit wehrst Du Dich also auch nicht gegen eine ambivalente Interpretation im Sinne ausschließlich warmer und optimistischer Auslegungen einzelner Werke?
Ich möchte der Arbeit keine vorgefertigte Interpretation überstülpen. Wenn beispielsweise eine Skulptur eine Ambivalenz zwischen etwas Harmlosem und zugleich Beängstigendem oder Ästhetischem und zugleich Ekligem aufweist, finde ich dies sehr spannend.
Insbesondere Deine figurativen Skulpturen begleiten Dich häufig über lange Zeiträume im Atelier. Fällt Dir der Abschied von ihnen manchmal schwer?
Auf jeden Fall. Es ist nie leicht, Arbeiten abzugeben.
Aber es ist gut zu wissen, dass sie gut präsentiert und gut behandelt werden. Außerdem ist es schön, dass die eigene Arbeit von anderen geschätzt wird.
Deine Arbeit ist von Kontrasten durchzogen. Schwarz und weiß, innen und außen, Leben und Tod. Du warst Meisterschüler bei Prof. Irmin Kamp an der Düsseldorfer Akademie. Sie übernahm 1981 die Leitung der Düsseldorfer Kunstakademie von Norbert Kricke und übergab diese bereits 1988 an Markus Lüpertz. Über 10 Jahre nach dem Tod Joseph Beuys kamst Du an die Hochschule. Frau Prof. Kamp sagte zu dieser Zeit, der Geist jener (Beuys)-Jahre berühre weiter die Lehre der Bildhauerei. Der Verdacht liegt auch bei Dir nahe.
Beuys hat mich zur Kunst gebracht. Ich würde den Zusammenhang zu Beuys zwar nicht zu eng sehen, aber der Gedanke, dass Kunst in das Leben hineinwirkt, ist mir sehr nahe. Meine Arbeiten sollen über das rein Ästhetische hinausgehen und eine eigene Wirkung oder Funktion erzielen.
Einige meiner Arbeiten sind begehbar und es gibt auch Objekte zum Gebrauch. Die figürlichen Arbeiten in den Räumen sind eher als Figuren und nicht als rein klassische Skulptur zu sehen, sondern als Besucher einer Ausstellung, Bewohner der Installation oder Mitbewohner der Sammler.
Mit ‚Unikat‘ entsteht nicht nur eine Künstlermonographie-Serie in jeweils deutlich sechsstelliger Auflagenhöhe, sondern es gibt auch zur zweiten Auflage eine ‚Unikat-Edition‘, die ihrem Namen alle Ehre macht. Du hast ein Gesamtkunstwerk konzipiert, in dessen Kern einhundert neue Faltungen entstanden sind. Ausgangspunkt sind Deine Ausstellungen in der ‚Villa de Bank‘ in den Niederlanden. Du hast Deine Erinnerung hieran genutzt, dieses herrschaftliche Haus neu entstehen zu lassen.
Das Haus, das ich mit dem Kölner Architekten Joerg Dalichau von ‚DA- UNDDORT‘-Architekten entwickelt habe, ist in der Tat vom Stil her an die ‚Villa de Bank‘, einer Fabrikantenvilla aus dem 19. Jahrhundert in Enschede, angelehnt, aber die Räume und Grundrisse sind komplett anders.
Für die Edition gibt es einhundert verschiedene Faltungen, die einen Rundgang durch das Haus darstellen. Hierbei ist in jedem Bild eine Stelle in Form einer kleinen Figur, einem Kind ausgespart, dem der Betrachter durch das Haus folgt.
Die beliebteste Frage der Betrachter Deiner Papier-Arbeiten ist, ob sie tatsächlich von Dir gefaltet werden. Du hast also wirklich jedes Exemplar der Edition im Kontext des Rundgangs entworfen und dann in der Faltung umgesetzt?
Ja, jedes Bild ist komplett unterschiedlich und basiert auf dem Entwurf eines Architekturprogramms, mit dem man eine dreidimensionale Abbildung der Architektur darstellen kann. Die einzelnen Blicke in die Räume sind dann von mir gefaltet worden.
Es gibt also einen Rundgang durch 10 Räume der Villa, die den Betrachter im letzten Raum der Villa vor ein Wand-Gemälde führen, was den Betrachter auf das Szenario seines ersten Schrittes verweist. So schließt sich der Kreis, so schließt sich die Idee zu einer Edition von Unikaten, die in einem schlüssigen Kontext stehen.
Der Editionsgedanke spiegelt sich im übergeordneten Architekturentwurf wieder, die einzelnen Bilder sind dann wie- derum Unikate, die im beiliegenden Stop-Motion-Film ein Ganzes ergeben, das durch das Schlussbild geloopt ist, auf dem ein Bild an der Wand zu sehen ist, das das Anfangsbild zeigt.
Die sechs bis zehn Perspektiven in einem Raum, aber auch die Aneinanderreihung der unterschiedlichen Zimmer und Flure bildet sammlerisch repräsentative Serien ab. Jedoch ist auch eine einzelne Arbeit keinesfalls dem Kontext entrissen. Welche Rolle spielt der Film hierbei?
Der Film bildet die große Klammer um die einzelnen Bilder. Da jeder Faltung eine Filmkopie beiliegt, handelt es sich eigentlich um eine Doppeledition. Durch den Film wird das Gebäude als Gesamtes erfahrbar.
Wir haben im Entstehungsprozess viel über die Inhalte gesprochen. Es war Dir aber auch wichtig, die Ausgestaltung und Materialität der Editionsmappen, die Papiere und die Möglichkeit der Rahmung der Arbeiten mit zu begleiten. In die konzeptionellen Prozesse war Dein Galerist Franz van der Grinten von Anfang an eng mit eingebunden und bei der Umsetzung unterstützte uns Marco Kühne von Paperlux. Du warst also wirklich bei jedem Schritt dabei. Inhaltlich unumgänglich oder perfektionistisch?
Sowohl als auch. Wenn man solche Editionen macht, muss einfach alles passen, sonst kann ganz schnell eine gute Idee oder eine gute Arbeit unter Ungenauigkeiten leiden.
Bis zur finalen Ausgestaltung der Konzeption und der Klärung der Umsetzbarkeit, war es Dir wichtig offen zu halten, ob Dir eine Edition möglich ist. Du hast es davon abhängig gemacht, ob die Arbeit ‚funktioniert‘. Nunmehr scheint sie nicht nur zu funktionieren und sich folgerichtig in Deine aktuelle Schaffensphase einzubetten, sondern sogar ein wichtiger Werkbestandteil geworden zu sein.
Tatsächlich hat mich die Idee dieser Edition dazu inspiriert, innerhalb der einhundert eigenständigen Einzelarbeiten einen in sich geschlossenen Zyklus zu erarbeiten.
Technisch ist es nicht möglich, meine Faltungen durch Prägung oder andere Techniken zu reproduzieren, da somit zu viel Räumlichkeit verloren ginge.
Die Geschichte, die nun durch die gesamte Arbeit erzählt wird, war also nur mit Originalfaltungen umsetzbar. Diese konzeptionelle Herangehensweise ist sehr spannend und bietet auch für die Zukunft noch viele Möglichkeiten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Simon Schubert im Gespräch mit Rene S. Spiegelberger Köln, den 11. April 2010