Unikat XIV - Zustiftung Klaus Benden

Von weißen Bildern und künstlerischen Serientätern

„Everything goes“ ist das aktuelle Credo in der Kunst. Alles ist möglich, Tabus sind weitgehend aufgehoben und nur selten kann den Betrachter noch etwas provozieren oder gar schockieren. Längst haben wir uns daran gewöhnt, in einer einzigen Ausstellung abstrakte neben figurativen Bildern, Installationen aus Alltagsgegenständen neben klassischen Skulpturen zu sehen. Dass diese Leichtigkeit des Spiels mit Ismen und Strömungen aus einer konsequenten Geschichte von größeren und kleineren Revolutionen in Sachen Kunstverständnis hervorgegangen ist, führt die Sammlung Benden vor Augen, die einen breitgefächerten Querschnitt durch die Kunst der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts präsentiert. Gerade die Diversität der künstlerischen Positionen lässt dabei immer wieder die Frage aufkommen: Was ist Kunst? Und was kann Kunst sein? „Genau genommen gibt es >die Kunst< gar nicht. Es gibt nur Künstler.“ stellt der Kunsthistoriker Ernst Gombrich bereits 1950 fest.[1]Insbesondere das 20. Jahrhundert brachte, was das angeht, etliche Künstler hervor, die das Spektrum dessen, was Kunst genannt wird, in einem Spannungsbogen auffächerten, der sich durch Gegensätze wie durch die stete Suche nach neuen Ausdrucksformen auszeichnet. Besonders durch die Zäsur, die der Zweite Weltkrieg setzte, veränderte sich das soziokulturelle Leben maßgeblich.

So werden ab 1945 die Grundsteine diverser Neuanfänge in Sachen Kunst gelegt. Statt der von den Nationalsozialisten propagierten figurativ-realistischen Kunst knüpfte man dort an, wo die Entwicklungen vor dem Krieg unterbunden worden waren. Abstraktion wurde zu einem Leitmotiv der Kunst und zu einem politischen Thema. Denn mit einer Malerei, die nicht mehr an den Gegenstand gebunden war, ließen sich die unfassbaren Kriegstraumata in höchster Subjektivität ins Bild setzen. Der Maler Wols steht beispielhaft für eine Kunst, die sich nicht durch die Wiedergabe der äußeren, sondern vielmehr der inneren Realität auszeichnet. Krustige Oberflächen, dick aufgetragene Farbe, traumhaft abstruse Formen sind symptomatisch für sein Schaffen und erzählen von all dem, was sich fühlen aber nicht aussprechen, nicht fassen und vor allem nicht in eine Form pressen lässt. Mit seinen Bildern ebnet er den Weg für die Kunst des Informel – eine Strömung, die sich dem gestischen Ausdruck, der Farbe und der Textur der Oberfläche verschreibt.  

Kaum 10 Jahre später wird die Abstraktion zu einer Weltsprache deklariert. 1955 findet in Kassel die erste Documenta statt. Westdeutschland ist darauf bedacht international Anschluss zu finden und sich vor allem klar gegen den Osten abzusetzen, der die realistische Malerei zelebriert. Die abstrakte Malerei ist nicht mehr nur eine Sache der Kunst und eine Form des Ausdrucks, sondern ein politisches Statement, das gleichbedeutend mit westlicher Demokratie steht. Wobei der Westen sich zunehmend über den Atlantik verlagert. Bildlich zeigt sich dies an der Entwicklung der Documenta – wo 1955 ein amerikanischer Künstler präsentiert wird, sind wenige Jahre später auf der zweiten Ausgabe der Ausstellung bereits 97 amerikanische Werke zu sehen. Die Besucher werden mit schockierenden Neuheiten konfrontiert: der in New York lebende Jackson Pollock benutzt durchlöcherte Eimer um seine Action Paintings herzustellen, Barnett Newmann, ebenfalls in New York ansässig, malt monumentale Werke, die lediglich aus einzelnen, klar voneinander abgegrenzten Farbflächen bestehen und Mark Rothko wartet mit der sogenannten „Farbfeldmalerei“ auf. Alle arbeiten sie abstrakt, versuchen neue Wege in Sachen Malerei zu gehen, und finden dabei zu ganz unterschiedlichen bildlichen Lösungen.

Doch mehr, bzw. weniger geht immer. Und statt wie Wols das Unbeschreibbare abzubilden oder wie die New York School Emotionen zum Mittelpunkt der Werke zumachen, treten Künstler an die Öffentlichkeit, die den Betrachter mit weißen Werken konfrontieren, auf denen weiße Farbe oder geweißte Objekte zu sehen sind. In der Sammlung Benden finden sich Werke von Herbert Zangs, der Anfang der 50er Jahre mit seinen Objekt- und Materialverweißungen beginnt, 1956 malt Angelo Savelli „Bianco su bianco“, sein erstes weißes Bild, dem kurz darauf weiße Relief-Drucke folgen werden.[2]Was nun will diese neue und andere Form von Abstraktion erzählen? Wie soll der Betrachter mit Bildern umgehen, die mit den noch jungen Sehgewohnheiten in Sachen abstrakter Malerei bereits wieder brechen? Zangs und Savelli sind nicht die ersten und nicht die einzigen, die Weiß als Farbe für sich entdecken. Bereits 1946 setzte Lucio Fontana die Farbe mit Null gleich. In seinem Manifesto Bianco, dem Weißen Manifestschreibt er: „Der Mensch hat die malerischen und bildhauerischen Formen ausgeschöpft.“[3]Es muss also dringend Neues her. In der Folge steht Weiß für viele Künstler für einen radikalen Neuanfang, den Bruch mit allem Gewohnten.

So auch für die ZERO Gruppe, die sich Ende der 50er Jahre in Düsseldorf formiert. Auch hier wird ein Neuanfang gesucht, der unbelastet von der Vergangenheit eine positive Lebenshaltung ermöglicht. Inspiriert von Lucio Fontanas Manifest und den Maschinen des Schweizer Künstlers Jean Tinguely benutzen die Künstler Materialen, die wegweisend werden und den Kunstbegriff erneut dehnen. Neben der auch hier wichtigen reinweißen Farbigkeit vieler Werke kommen nun auch Licht und Bewegung als künstlerische Mittel ins Spiel. Der Schweizer Christian Megert, von dem sich zwei Werke in der Sammlung Benden befinden, war einige Zeit im Umfeld von ZERO unterwegs und stellte mehrmals mit der Gruppe aus. Bekannt wurde er für seine Spiegelräume, die u.a. auf der documenta IV in Kassel gezeigt wurden.[4]Mit Megert zeichnet sich eine Tendenz ab, die sich bis heute zunehmend verstärkt: die Verwendung des Alltäglichen als Material der Kunst. Bei Megert sind es Spiegel und Glas, die in seinen Werken Verwendung finden. Ferdinand Spindel, auch er in der Sammlung vertreten, stand ebenfalls mit den ZERO-Künstlern in Kontakt und entdeckte für sich Schaumstoff als Arbeitsmaterial.

Auf die Spitze treibt die Integration der Dingwelt in die Kunst und die Frage nach dem Original Ottmar Hörl, der u.a. mit einer Andy Warhol Büste in der Sammlung vertreten ist. Als „Serientäter“ lässt Hörl Multiples aus Kunststoff produzieren, die zu hunderten Innenstädte besetzen. „Mit der Vervielfältigung nimmt er der Kunst das elitäre Element. Er will keine Denkmäler schaffen, sondern nachhaltige kommunikative Anlässe“ diagnostiziert 2014 der Kurator Dr. Carsten D. Siebert.[5]Andy Warhol als Büste aus Kunststoff ist darüber hinaus ein prägnantes Beispiel für die Vermischung von High- und Low-Culture bzw. die Tatsache, dass sich heute manchmal gar nicht mehr genau sagen lässt, was nun was ist. Hörl steht damit in der Tradition des Pop-Meisters Warhol selbst. Referenzobjekt ist die Pop-Art, die in den 60er Jahren zur beherrschenden künstlerischen Ausdrucksform wurde auch für den deutschen Maler Walther Dahn. Die in der Sammlung befindliche Zeichnung, die er gemeinsam mit Johannes Stüttgen fertigte, macht jedoch eines deutlich – neben der weiterhin zelebrierten Abstraktion ist nun wieder figurative Kunst gefragt. Die Pop-Künstler machen sie erneut salonfähig, Walter Dahn und sein Kreis, die als „Junge Wilde“ bezeichnet und in den 80er Jahren gehypt werden, greifen sie auf und vermengen sie noch dazu mit neuen Ideen. Im Falle Dahn und Stüttgen wird der erweiterte Kunstbegriff von Beuys mit eingeflochten. Es entstehen unbekümmerte neoexpressive Werke, die von einer ebenso unbekümmerten, oftmals feierwütigen bis alkoholfreudigen Lebensweise begleitet werden. Jede Freiheit nimmt sich auch der eine Generation jüngere Franz Burkhardt, der der figurativ-realistischen Malerei auf seine Weise neuen Atem einhaucht. Technisch äußerst versiert, fertigt er Interieurs aus nachgebauten Möbeln in Kombination mit Zeichnungen nach Abbildungen aus Magazinen. Auch hier wird alltägliches kunstfähig, erotische und triviale Szenen werden bildwürdig.

Jede Strömung hat jedoch stets eine Gegenströmung und so ziehen sich parallel zu den neuen Strängen gegenständlicher Malerei die Fäden der Abstraktion bis heute weiter. Einer der bekanntesten Vertreter ist nach wie vor der Maler Gerhard Richter. Daneben existieren Positionen, die mindestens genauso beachtenswert sind. Mehrere Werke von Gonn Mosny führen in der vorliegenden Publikation die Möglichkeiten einer gegenstandslosen Malerei vor Augen, die doch immer Assoziationen an bereits Gesehenes weckt. Rainer Gross dagegen löst sich radikal von allem Dinglichen und lotet konsequent die Möglichkeiten von Farbe und Struktur aus. Auf sich aufmerksam macht er nicht zuletzt mit den Contact Paintings, die dadurch entstehen, dass zwei Leinwände aufeinandergepresst und wieder getrennt werden. Aus einer Farbmasse werden so zwei Bilder – auch hier macht die Frage nach dem Original stutzig. Gleichfalls abstrakt, jedoch viel reduzierter sind die Arbeiten von Martin Noel. Seine Bilder haben objekthaften Charakter, seine Holzschnitte und Lithographien spielen ebenfalls mit Formen der Vervielfältigung und interpretieren tradierte Medien neu. Hier setzt auch Eve Aschheim an, die in formal grundverschiedenem Ausdruck ebenfalls die Möglichkeiten der Abstraktion im Medium Druck bzw. Zeichnung vor Augen führt.

Was ist nun die Klammer, die eine so breit aufgestellte Sammlung vereint? Der rote Faden, der alle 70 Arbeiten miteinander verbindet, ist die stete Suche nach neuen Ausdrucksformen und die immer wieder von neuem gestellte Frage nach dem Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit. Wieviel muss ein Künstler abbilden, damit im Betrachter Assoziationen an ihm Bekanntes geweckt werden? Ab welchem Abstraktionsgrad bleibt der Wahrnehmung nur eine farbige Fläche ohne Kontext? Oder kann die Kunst die Wahrnehmung dahingehend verändern, dass wir niemals vor einer „nur“ farbigen Fläche stehen werden? Vor allem aber bekräftigt das Konvolut das eingangs erwähnte Zitat von Ernst Gombrich: „Genau genommen gibt es >die Kunst< gar nicht. Es gibt nur Künstler.“

Anne Simone Krüger

[1]E.H. Gombrich: Die Geschichte der Kunst. 16. erweiterte und überarbeitet Auflage, Berlin 1996, S.15.

[2]https://rogallery.com/Savelli_Angelo/Savelli-bio.htm(16.02.1019)

[3]Lucio Fontana: Weißes Manifest. In: Kunsttheorie im 20. Jahrhundert, hrsg. von Charles Harrison und Paul Wood, Bd.II 1940-1991, Berlin 1998, S.782.

[4]https://www.lempertz.com/de/kataloge/kuenstlerverzeichnis/detail/megert-christian.html(17.02.2019)

[5]https://www.ottmar-hoerl.de/de/biografie/(17.02.2019)