Ateliergespräch - Tobias Hantmann
Lieber Tobias Hantmann, sind Sie Maler, Zeichner oder Bildhauer?
Maler.
Da die Antwort für mich überwiegend erwartungsgemäß ausgefallen ist, kann ich auch die notierte Folgefrage anschließen: Sie beschäftigen sich auch intensiv mit Skulptur bzw. Plastik. Hat das entsprechend eine nachrangige Bedeutung zum Zeichnen und Malen?
Die Ergebnisse, die ich manchmal herausbekomme, sind vielleicht objekthaft, aber als Skulpturen im klassischen Sinne würde ich sie nicht bezeichnen. Es sind objekthafte Bilder.
Einem früheren Interview habe ich entnommen, dass Sie dauerhaft die Frage umtreibt, was denn noch wichtig genug sei, um gemalt zu werden. Leitet sich daraus möglicherweise die zwangsläufig multimediale, künstlerische Auseinandersetzung ab, also das Abdriften bei Ihnen in unterschiedliche Medien und eben auch der Schritt hinüber ins 3-Dimensionale?
Das habe ich ganz konkret zu einer Arbeit gesagt – eine dreiteiliges Velours-Bild im Museum Morsbroich in Leverkusen – da stellte sich durch die Form des Triptychons und den speziellen Ort, dem Jagdzimmer des Schlosses, besonders deutlich die Frage, was ein solches Bild zeigen, in diesem Fall vielleicht besser, was in diesem Bild erscheinen soll. Auch wenn man abstrakt arbeitet, muss man diese Frage beantworten.
Die angesprochene Triptychon-Installation im Museum Schloss Morsbroich ist dort eine permanente Installation, die sich in ein historisches Ensemble einfügt, wenn ich das richtig weiß. Die bleibt also auch weiterhin und für die Zukunft erhalten, was ja in einem schönen und spannenden Widerspruch zu Ihrem Medium der Teppicharbeiten steht, die ja eigentlich auch was Flüchtiges haben. Hat Sie dieser Kontrast in besonderer Form beschäftigt, als Sie sich mit der Arbeit thematisch auseinandergesetzt haben?
Alle meine Velours-Bilder werden von einer Frage begleitet: „Wie dauerhaft empfindet man die Formulierung?“ Das also dadurch, dass die Formulierung nicht wie bei einer klassischen Malerei dauerhaft mit dem Träger verbunden ist, sondern dem Träger „nur“ eingeschrieben ist und daher auch wieder herausnehmbar ist, ist diese Verbindung lose. Ich denke das ist wichtig für diese Bilder, dafür, wie diese Bilder aussehen, wie sie empfunden werden können. Und dass ich mit dieser besonderen Bedingung arbeiten kann, dass diese Bilder durch die Art, wie sie wirken, Inhalte verändern können, verwandeln können. Ich habe zu den Krippenmotiven einmal gesagt, dass das Verhältnis zwischen der materiellen Anmutung des Bildes und dem Motiv ausmacht, dass ich diese Bilder überhaupt akzeptieren kann. Ich könnte sie als klassische Ölgemälde nicht akzeptieren.
Vielleicht dann auch noch mal die ganz allgemeine Frage: Was verbinden Sie mit dem Material Teppichboden?
TH: Es geht nicht um dessen Gebrauchswert. Ich verwende ja auch Velours-Stoffe, die für ganz andere Zwecke hergestellt werden. Dieses Material hat eben die Charaktereigenschaft, dass man es durch das Bewegen der Oberfläche bezeichnen kann. Das ist entscheidend für mich, nicht die Begrifflichkeit „Teppich“ oder „Bodenbelag“.
Wie haben Sie das Material für sich entdeckt?
Ich habe 2006 mehrere Monate lang Aquarelle gemalt, die nach und nach immer einfarbiger wurden, so dass es auf diesen kleinen Blättern schließlich um tonale Abstufungen und deren Übergänge innerhalb eines Farbtons ging. Zu dieser Zeit war ich einmal durch Zufall in einem Teppichladen und habe dieses Material gesehen in dem die Leute Spuren hinterlassen - das kennt jeder: dieses spielerische Moment, dass man eine Spur hinterlassen und sie auch wieder löschen kann - das ist einfach interessant. Und in dem Moment habe ich gedacht, ich benutze das Material Velours als Skizzentafel. Ich nehme so ein Stück mit ins Atelier und experimentiere darauf und kann es dann für meine Malerei verwenden als Vor-Zustand oder als Studie. Und dann habe ich erst die besondere Qualität oder die besondere Anmutung und die Eigenheit daran entdeckt und gemerkt: Das könnte nicht nur ein Zwischenschritt sein, sondern schon die Arbeit selbst, das Bild.
Sie haben jetzt Velours hervorgehoben und den Teppichboden als solchen etwas in den Hintergrund gestellt, deswegen möchte ich noch einmal etwas in die Begrifflichkeiten reingehen, da sie ja auch die Einordnung erleichtern. Mich interessiert, ob Sie selber dabei von Zeichnen, Malen oder gar Kämmen sprechen oder, was diesen Prozess Ihrer Ansicht nach am besten charakterisiert, und ob es sich bei dem Ergebnis entsprechend um eine Zeichnung beziehungsweise ein Bild oder auch eher um ein Relief handelt, was ja ebenso herleitbar wäre.
Also, eigentlich würde ich „Malen“ dazu sagen. Wobei mir klar ist, dass Malen immer mit feuchter Farbe assoziiert wird, mit all den Bildern, die als „gemalt“ bezeichnet werden, und der Unterschied zu diesen bleibt bestehen. Ein Relief ist es faktisch auch, wobei es verschiedene Formen von Reliefs gibt, die dadurch unterschieden werden, wie weit die Figuren oder Volumen aus der Fläche herausragen. Der deutlichste Unterschied zu diesen ist, dass diese Veloursflächen keine Volumen ausbilden, sondern ein Hell und Dunkel erzeugen. Dadurch rücken sie zwangsläufig eher an Malerei heran.
Mit Ausnahme Ihrer großen monochromen Sandpapierarbeiten weisen Ihre Bilder stets dem Betrachter gewohnte Sehweisen auf und fordern diese dann heraus. Hilft dieser direkte Zugang zu Ihrem Werk dabei, dass beim deutlich komplexeren nächsten Schritt keiner so leicht verloren geht?
Das verstehe ich nicht ganz. Was meinen Sie mit „gewohnten Sehweisen“?
Also das Krippenmotiv als solches ist ja ein sehr vertrautes Szenario. Wenn es allerdings wie bei Ihrer großen Installation im Oldenburger Kunstverein dann in gezerrter, gestreckter, veränderter Form auftritt, ist das Entrée erst mal geschaffen über das klassische Motiv, die klassische Sehgewohnheit, wie auch vielleicht bei Ihren Sets, wo man sich erst mal tatsächlich dem vertrauten Alltagsgegenstand „Topf“ nähert, um dann in eine tiefere Ebene einzutauchen, die nämlich aufgeladen ist durch die Komplexität, die die Sets nun mal durch Ihre malerische Arbeit zusätzlich haben. Und es findet eine Annäherung im ersten Schritt darüber statt, dass der Betrachter möglicherweise sagt: „Ich habe dort einen vertrauten Alltagsgegenstand oder ein mir bekanntes, in unserem Kulturraum gesetztes Symbol“, um dann eben die tatsächliche Tiefe der Arbeit im nächsten Schritt für sich selbst zu erarbeiten. Aber er hat einen sehr offensichtlichen Schlüssel und Zugang zu diesem Werk.
Es ist nicht so, dass ich darüber nachdenke, wer mir wie folgen kann, denn das würde bedeuten, dass ich die ganze Zeit den Betrachter mit reflektiere. Ich beginne immer bei mir. Die Krippenmotive provozieren mich selbst, weil sie völlig verbraucht erscheinen. Man hat diese Szenen zu oft gesehen, als dass man meint, sich ihnen noch einmal neu nähern zu können. Diese Provokation, ein zu bekanntes Gebilde zu benutzen, ein zu bekanntes Motiv, das spielt sicher eine Rolle, und dass ich dann durch eine Verschiebung oder eine veränderte Darstellungsform versuche, diesem Motiv noch mal etwas zu geben.
Ihre Velours-Arbeiten sind eine einzigartige künstlerische Position im heutigen zeitgenössischen Kunst-Umfeld. Hat Ihnen das Ihrer Erfahrung nach geholfen, sich künstlerisch zu positionieren? Ist das für Sie ein Stück weit ein Markenzeichen, weil über diesen Werkkomplex ein „Hantmann“ sich jedem sofort als ein solcher zu erkennen gibt?
Es gibt ja viele verschiedene Arbeiten von mir. Die Veloursbilder sind nur ein Teil davon. Ich denke schon, dass es eine bestimmte Freiheit für mich bedeutet, dass ich dieses besondere Medium gefunden habe, aber das Wort „Markenzeichen“ gefällt mir natürlich nicht. Es kann auch ein Hindernis darstellen, dass es eine so spezielle Bildform ist. Ich finde ganz allgemeine Mittel sehr gut und sinnvoll. Aber was heißt schon allgemein? Man beginnt zu formulieren und schaut, wohin es einen führt. Man nimmt sich jede Freiheit bei der Entdeckung, und ich bin eben da rausgekommen.
Im Gegensatz zu dem gestalterischen Aspekt, der für die Farbe eines Teppichbodens relevant ist, dient dieser bei den Schleifmitteln als irgendwann einmal willkürlich gewählter Indikator zur Differenzierung der unterschiedlichen Körnungen. Wie fügt sich der Werkkomplex Pistill der Iris in Ihr sonst so gar nicht minimalistisches Werk und woher rührt sein wiederum so wenig minimalistischer Titel?
Also, ich bin mir gar nicht so sicher, ob meine Arbeit so wenig minimalistisch ist. In der Minimal Art wurden grundsätzliche Bedingungen von Kunstwerken untersucht und thematisiert. „Was ist ein Bild? Was ist ein Bildträger?“ Robert Ryman zum Beispiel stellt sich irgendwann die Frage: „Wie wird das Bild an der Wand befestigt?“ Überhaupt die Tatsache zu bemerken, dass Bilder an der Wand immer befestigt werden ... Man kann das unkommentiert lassen oder, wie er es gemacht hat, betonen. Die Minimal Art hat in vieler Hinsicht grundlegende Bedingungen von Objekten im Raum und Bildern an der Wand thematisiert. Insofern sehe ich da eine Verbindung. Wenn Sie jetzt meinen, dass die Minimal Art die erzählerische Komponente des Bildes ausgeklammert oder zurückgewiesen oder sogar zurückgedrängt hat, dann ist das eine Tatsache und ich mache das eben anders. Ich arbeite auch an den Grundbedingungen des Bildes, verwende aber Motive dafür.
Kleiner Schwenk: Kochen Sie gern?
Aber das ist genau wie die Frage zum Teppichboden: Es geht nicht um Begrifflichkeiten wie „Teppich“ oder „Topf“ und auch nicht um deren Einsatzmöglichkeiten, sondern eher darum, die vielleicht naheliegendsten Gegenstände um einen herum zu bemerken, zu betrachten, und dann auf ihr Potenzial hin zu untersuchen. Ich hätte für dieses aus dem Zentrum heraus spiegelnde Phänomen, das der Rundschliff hervorbringt, auch andere Objekte verwenden können. Aber ich habe den naheliegendsten Gegenstand benutzt. Weil das, was man so gemeinhin „banal“ nennt, auch deshalb eine Schönheit in sich trägt, weil es so allgegenwärtig ist und dadurch die herausgestellte Besonderheit umso deutlicher zu Tage tritt.
Sie ahnen also richtigerweise, dass ich auf Ihre Werkgruppe Sets angespielt habe, in der die Topfböden mit ihren typischen, konzentrischen Lichtreflexionen von Ihnen feinmalerisch umgesetzt werden. Was passiert da in unserer optischen Wahrnehmung bei dieser Werkgruppe und bei der künstlerischen Behandlung, die Sie vornehmen?
Ich habe die Töpfe um 180° gedreht und den Topfboden grundiert und bemalt. Und durch die Malerei das, was ich zuvor darauf gesehen habe, interpretiert und als Bild fixiert. Diese Gegenstände tragen also an einer Stelle ihrer Oberfläche eine Malerei, die ihr Aussehen kommentiert. Nur wenn man sie eingehender betrachtet, bemerkt man, was ich damit gemacht habe. Es geht um diese Verschiebung und vielleicht auch Verunsicherung, die dabei entsteht.
Verunsicherung finde ich dabei einen schönen Punkt. Dass nämlich die Spiegelung nicht wie gewohnt mit einem mitgeht, wenn man einen umgedrehten Topf passiert, sondern dass Sie durch die malerische Umsetzung diesen optischen Reflex ausgehebelt haben. Dadurch setzt ein Spielen mit der Wahrnehmung des Betrachters ein. Ist das eine Beobachtung, die Sie auch machen, wenn diese Arbeiten im Raum installiert sind?
An den Sets interessieren mich genau Differenzen wie diese. Dass Malerei unbewegte Bilder hervorbringt ist ja eine Tatsache, die banal und interessant zugleich ist. Hier ist das Bild statisch und flach und wird durch das glänzende, Licht reflektierende Objekt aktiviert oder aber, im selben Moment, in seiner Kargheit blossgestellt.
Nachdem sich der digitalen Bearbeitung von Fotografien von Töpfen durch Strecken, Dehnen und Verzerren inklusive des auf der Topfunterseite stattfindenden optischen Phänomens eine Übersetzung in amorphe Skulpturen anschloss, findet für unsere „Unikatreihe“ eine Prozessumkehr statt. Hier gilt wieder: „Am Anfang war der Topf.“ Was kam dann?
Die Lichtreflexion auf der Bodenunterseite habe ich ja mit tonalen Abstufungen eines Farbtons gemalt. Und wenn man jetzt nur die hellsten Lichtschenkel isoliert denkt, dann [überlegt] - Die Idee war, sich nur die Licht reflektierenden, nur die am hellsten leuchtenden Teile davon isoliert vorzustellen. Und sich dann zu fragen: Wie könnte das aussehen, wenn man sie tatsächlich herausnimmt? Was wieder nur mit einem statischen Bild Sinn macht, weil man sonst eben ein Stück aus einem Topf schneidet, und das changiert natürlich genauso im Licht wie die gesamte Fläche. Wenn man es aber malerisch fixiert, kann man den hellsten Teil isolieren. Ein Abbild von reflektiertem Licht. Und das ist das, was ich bei dieser Serie gemacht habe.
Wie dürfen wir uns das praktisch vorstellen: Tobias Hantmann geht in das Küchenfachgeschäft seines Vertrauens und verblüfft die kundige Verkäuferin mit seinem Einkaufswunsch: „Einen von jedem, Lieferadresse: örtlicher Schlossereibetrieb“ und dieser wird dann gebeten, die Lieferung in gleichgroße, appetitliche Tortenstücke zu flexen, wie letzten Sonntag beim Kaffeekränzchen mit der Verwandtschaft? Lösen derartige Wünsche viel befremdete Reaktionen aus?
Natürlich, der Schlosser denkt: „Was soll das?“ Aber wenn man das erklärt, ist es ja eine schöne Aufgabe.
Sie haben es ihm tatsächlich erklärt?
Ja, ich hab’s ihm erklärt.
Meinen Sie, dass der Topf als Fragment wahrgenommen wird oder mehr als eine abstrakte Skulptur in dieser Ausprägung?
Beides zugleich. Ich denke, man sieht ein abstraktes Zeichen und man sieht ein Fragment eines Topfes. Es macht schon Sinn, die vorher entstandenen Sets mitzudenken, sich dieser Schritte auch bewusst zu sein beim Betrachten. Dass man jetzt ein Fragment sieht, eventuell ein Fragment von Malerei. Aber was ich eben gut finde, ist, dass diese vorher illusionistisch war, als ich Licht und Schatten malerisch übersetzt hatte. Wenn ich mich nun nur auf das Lichtsegment beschränke, entsteht ja ein unklarer Zustand, weil die Aufgabe, welche die Malerei zuvor hatte, diese jetzt durch die neue Situation nicht mehr erfüllen kann. Ist dieser Grauton, der den Lichtschenkel darstellt noch illusionistisch zu denken oder wird es monochrome Malerei?
Haben die Topf-Fragmente einen Namen?
Ja, der Titel lautet „Mere light reflecting segment“, also „Lediglich Licht reflektierendes Segment“.
Das ist schön. Zählen wir die Zeichnungen, Fotografien und Fotoüberarbeitungen dazu, ist die „Unikatreihe“ nunmehr bereits die fünfte Werkgruppe, die vom Motiv des Topfes ausgeht. Stecken für Sie noch weitere künstlerische Fragestellungen in diesem Alltagsprodukt oder haben Sie es damit umfassend für sich künstlerisch ausgewertet?
Ich kann dazu nur sagen: wenn ich mit einer Arbeit anfange, weiß ich nicht, wohin sie mich führt. Irgendwann kommt dann der Punkt, an dem eine Serie abgeschlossen erscheint. Es kann dann aber immer noch vorkommen, dass ein Aspekt, den ich noch nicht bedacht hatte oder der mir neu oder fremd oder besonders vorkommt, zu einer neuen Auseinandersetzung führt. Das ist hier zum Teil nach großen zeitlichen Abständen mehrfach passiert.
Haben Sie eine Frage vermisst?
Oder haben wir einen Komplex vielleicht auch im Bezug auf die aktuellen Arbeiten ausgelassen?
So ein Gespräch ist ja immer nur eine Momentaufnahme. Und ich kann nur sagen: „Ich bin nicht zu Ende.“
Lieber Herr Hantmann, vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch mit Tobias Hantmann führte Rene S. Spiegelberger am 08. September 2015 im Düsseldorfer Atelier des Künstlers.