Ateliergespräch - Peter Saul

Heute ist unser Thema der US amerikanische Meister der Pop Art, dessen farbenprächtige Werke sich ebenso dem Existentialismus wie dem Surrealismus zuordnen lassen. Eine großangelegte Retrospektive zeigten 2017 die Deichtorhallen in Hamburg.

RSS: Herr Saul, ich muss ja zugeben, dass sich Nachforschungen über Sie schwierig gestalten. Ein Armutszeugnis für deutsche Kunsthistoriker, man hat den Eindruck sie schrieben alle beieinander ab, um Ihre Kunst zu beschreiben. Kann es sein, dass Ihre Kunst per se schwer zu beschreiben oder zu kategorisieren ist?

PS: Nein, das glaube ich nicht. Ich weiß nicht, woran das liegt, es überrascht mich.

RSS: Dann ist es gut, dass Sie jetzt mit zwei großen Shows in Deutschland sind, so erfahren wir eine Menge Neues.

Was Sie auf der Pressekonferenz über die letzten Schritte an einem Werk sagten, ist sehr interessant, dass es das erste ist, was der Besucher [Betrachter] wahrnimmt.

PS: Ja, richtig.

RSS: Deutsche kategorisieren gern. Ich würde behaupten, in der Kunstwelt ist es genauso. Vielleicht kann man sagen, dass Sie der Meister des Trash-Paintings [bad painting] sind, aber in einem Interview aus 2010 haben Sie darüber gesprochen, dass Sie nicht verstehen können, weshalb die Leute meinen, in der Kunst irgendwelchen Regeln folgen zu müssen.  

PS: Ja, das verstehe ich auch nicht.

RSS: [lacht] Ok, als was für eine Art Künstler würden Sie sich denn selbst beschreiben?

PS: Naja, ich möchte ein Außenseiter sein, bin aber ein Eingeweihter. Oder versuche ein Eingeweihter zu sein … Ich meine, ich hätte gern das normale Los eines modernen Künstlers. Akzeptiert, wertgeschätzt. Aber ich habe extrem spät angefangen, weil ich genau das die meiste Zeit meines Lebens vermeiden wollte, doch dann habe ich plötzlich meine Meinung geändert, vor ungefähr siebzehn, achtzehn Jahren. ̶ Man ändert seine Meinung nicht über Nacht, doch in dieser Zeit, in den späten 90ern, beschloss ich, meinen Stil soweit wie möglich zu normalisieren, um akzeptiert zu werden, mit Museen in Kontakt zu kommen, eben ganz normale Dinge zu tun. Ausstellungen in besseren Galerien und nicht bei der erstbesten, die sich anbietet.

RSS: Was ist so reizvoll daran, ein Außenseiter-Künstler zu sein?

PS: Das ist romantisch.

RSS: OK [lacht]. Das ist ein Argument.

PS: Nein, ehrlich, ich meine, das muss echt aufregend sein. Wobei.. was ist aufregend? Ein Geschäftsmann zu sein?

RSS: Nein, sicherlich nicht.

PS: Ich bin schon ganz zufrieden. Es hat sich einfach so ergeben.

RSS: Früher haben Sie sich darüber aufgeregt, dass es hieß Pop Art sei tot. Haben die Leute sich geirrt, oder haben Sie Pop Art am Leben erhalten?

PS: Ich glaube, Pop Art meint nur Kunst, die vom aktuellen, gegenwärtigen Leben erzählt und nicht unbedingt darauf zurückblickt. Wir könnten das Kolosseum in Rom malen, aber das wäre ganz sicher nicht Pop Art.

RSS: Klar.

PS: Ich meine, im Grunde könnte man sagen, dass viele meiner Arbeiten nicht Pop Art sind. Aber der allgemeine Trend ist, das gegenwärtige Leben mit seinem Witz, seinen Absurditäten und Problemen zu malen. Weiter nichts. Und ich halte den Stil von Walt Disney für sehr hilfreich. Das gefällt mir. Vor allem, wenn es nicht allzu perfekt ist. Wenn es zu gut ist, fällt es nicht mehr auf.

RSS: Zu präzise?

PS: Zu irgendwas… zu gekonnt. Mir gefallen Fehler, mir gefallen die Cartoons, die nicht 100% sind.

RSS: Sie sind also dankbar, sich dadurch in gewisser Weise der Lebensrealität entziehen zu können. Welche Tatsachen kann Kunst nicht umgehen?

PS: Man umgeht die Gegebenheiten des Lebens so, wie man Dinge tut, die andere einem auftragen. Jobs beinhalten immer, dass einer dem anderen sagt, was er tun soll. In moderner Kunst ist das nicht so. Niemand sagt dir irgendwas. Du kannst deine Fantasie benutzen, wenn du willst.

RSS: Sie beschreiben Ihren eigenen Stil als „mit wirklich interessanten Dingen zu tun“ zu haben. Die Ausstellung und Ihre Arbeit zeigen, dass das Interesse der Leute sich verlagert. Vom „Kühlschrank“ (Ice box paitings) bis zu Ihrem jüngsten Werk, das Donald Trump zeigt.

PS: Ja, mein erstes politisches Bild stammt schon aus 1960, “Hitler’s Bathroom” (Hitlers Badezimmer). Aber ich habe nicht wirklich politische Motive gemalt, das kam erst ein paar Jahre später, zwei oder drei Jahre danach fing ich mit “Donald Duck vs. the Japs” und “Mickey Mouse vs. the Japs” an. Und die können Sie hier in der Hamburger Ausstellung sehen. “Mickey Mouse vs. the Japs” bezieht sich auf den 2. Weltkrieg. Ah… was war die Frage?

RSS: Die Frage war: Was kann Kunst nicht umgehen?

PS: Was kann Kunst nicht umgehen… Naja, nicht in einer konkreten Situation, [aber] man muss verstehen, dass Kunst ein Feld ist, auf dem viele Leute arbeiten, nicht nur man selbst. Ein großer Fehler meinerseits ist, nur mich selbst in Beziehung zur Kunst zu sehen. Das ist nicht besonders realistisch. Auch nicht besonders schlau, aber es ist zu spät. Den Fehler habe ich gemacht, und ich glaube, Kunst stört das nicht. Ich glaube, Fehler verleihen dir Charakter und verhelfen dir als Künstler zu deinem Ruf und dazu, glaubwürdig für die Leute zu sein. Wenn man sich die Künstler bis dato ansieht, haben sie alle Fehler gemacht.

RSS: Die Ausstellung in den Hamburger Deichtorhallen ist die zweite in Europa nach der Schirn Kunsthalle in Frankfurt, die Ihre Werke in einer Retrospektive zeigt. Niemand kann Ihnen die Entwicklung der Inhalte und vor allem der Bedeutung in Ihren Bildern absprechen. Es fängt mit so Banalem wie Konsumgütern an, und Sie gelten nun als einer der führenden Künstler, die „schon immer gewagt haben, Kritik gegenüber dem Establishment zu äußern”. Sehen Sie dies als Ihre Aufgabe?

PS: Nein. Nun ja… [überlegt] Neuerdings sehe ich das eher als etwas, das es zu vermeiden gilt, weil es meine Aufgabe werden könnte. Trump ist schwierig zu machen, denn ich bin ja nicht der erste, der es macht, sondern vielleicht der 10.000ste. Und jeder hat einen auf Trump abgelassen. Er wurde sexuell, finanziell, politisch dargestellt…. Er ist als Motiv einfach totaler Schrott. Wahrscheinlich mag kein Künstler Trump. Einzig ein Pro-Trump-Bild wäre erfrischend neu, aber das werde ich nicht malen.

RSS: Und man wird keinen Künstler finden, der dieses Bild malen wird.

PS: Nein, ich mag Trump einfach nicht. Genau wie die anderen 10.000 [Künstler] oder wie viele auch immer es sind. Ich musste also meine Fantasie spielen lassen, verstehen Sie, und das tat ich. Um nicht einfach bloß … negativ zu sein, so wie: langweilig – negativ – Trump. Das haben wir ja schon hundertfach gesehen.

RSS: Meiner Meinung nach ist diese Ausstellung die verdiente Anerkennung Ihres Schaffens. Haben Sie eine Idee, weshalb Europa Sie erst so spät in Ihrer Karriere zu schätzen beginnt?

PS: Ich weiß es nicht. Kunstverständnis ist mir ein Rätsel. Ich verstehe es nicht, gleichzeitig schätze ich Kunstverstand. Inzwischen gefällt es mir, geschätzt zu werden. Aber weshalb nun Europa mich mehr schätzt als die USA? In den Staaten habe ich ein paar Sammler, aber kein Museum hat meine Arbeiten bisher in dieser Weise ausgestellt, egal wo, bis auf 50 Meilen nördlich von San Diego [lacht].

RSS: Aber Ihre Werke sind Teil der Sammlungen bekannter Museen in Europa.

PS: Ja, in einer oder zwei, hie und da. In den Staaten ist es genauso. Ich meine, ich habe es noch nicht geschafft hervorzustechen. Das ist schwierig – und wahrscheinlich so ein Geschäftsding, mit dem ich mich nicht auskenne.

RSS: Möglicherweise sind diese zwei Ausstellungen der Auftakt zu weiteren Ausstellungen in Europa.

PS: Oh ja. Gut, ich hatte schon ein paar Ausstellungen und die nächste wird in Paris stattfinden.

RSS: Nächstes Jahr?

PS: Also in Frankreich werden mehrere Ausstellungen kommen. Eine ist in Toulouse, kennen Sie Toulouse?

RSS: Ja.

PS: Da sind wir in ungefähr eineinhalb Jahren. In Paris wird es auch eine Ausstellung geben, in der Almine Rech GalleryRich Gallery? Ich traf sie nur zweimal und bin mir nicht ganz sicher wie man ihren Namen ausspricht, aber ich habe dort eine Ausstellung. Und jetzt im Moment findet in New York City eine Ausstellung statt, im Mary Boone. Mehr kann ich wirklich nicht ausstellen, ich meine, ich zeige ja schon alles, das ich habe. Ich besitze fünf oder sechs Bilder, alte Bilder, und sogar die sind hier. Ich habe sie der Show geliehen.

RSS: Sie sagten, Sie hätten keine typische Technik für Ihre Bilder, außer, dass viele Ihrer Ideen kommen, während Sie am Telefon kritzeln. Haben Sie tatsächlich keine weiteren Routinen?

PS: Naja, ich weiß nicht. Ich arbeite auch mit Skizzen, die ich manchmal spontan mache.

RSS: Sie beschreiben sich selbst als einen Mann, dem die Reife fehlt. Was ist so schrecklich daran, erwachsen zu sein?

PS: Dass der Tod folgt.

RSS: Das stimmt. Sehr philosophisch. [lacht]

PS: Das wollen Sie doch auch nicht. Oups. [lacht] Atemstillstand.

RSS: Das war’s, vielen Dank. Gibt es eine Edition für die Ausstellung oder irgendwas als Print?

PS: Ja, das hoffe ich. Ich meine, ich stimmte einer Edition für die Ausstellung zu.

RSS: Das wäre super. Das müssen wir unbedingt erwähnen! Vielen Dank.

Das Gespräch führte Rene S. Spiegelberger anlässlich der Eröffnung von Peter Sauls Ausstellung in den Deichtorhallen am 29. September. Weitere Informationen auf www.deichtorhallen.de.