Ateliergespräch - Thorsten Brinkmann
Thorsten, frisch aus Wien zurück, seit langem wieder analog gearbeitet, dann mit Polaroid und künstlichem Licht – was sind deine Impressionen, die du aus der österreichischen Hauptstadt mitgebracht hast?
[lacht, überlegt] Ja, es war jetzt doch ein ganz anderes Arbeiten, schon eher ein Old-School-Arbeiten, das in meinem Fall auch eine Planung gebraucht hat. Deswegen gab’s auch Vorlagen. Und es ist eine sonderbare Mischung, weil Polaroid ja den Charakter des Momenthaften und des Sofortigen hat. Das Sofortige ist zwar das Bild selbst, aber die Entstehung des Bildes ist in diesem Fall gar nicht so sofortig. Die ist eher noch mehr Old School als das analoge Fotografieren, weil es eine bestimmte Zeit braucht, bis man am Anfang in Pose ist. Dann muss man warten, dass die Kassette ausgetauscht wird, also steht man auf alle Fälle erst mal eine Minute still, bis das Foto gemacht wird. Aber meistens stand ich fünf oder zehn Minuten, bis man richtig in der Pose war. Und dadurch, dass wir den Aufbau meistens gleich gelassen haben, ging es im Verhältnis zu der Foto-Anzahl relativ schnell, obwohl es auch Zweifel gab, ob es in der Zeit überhaupt machbar ist. Aber es ist natürlich ein viel aufwendigeres Verfahren, als wenn ich im Atelier digital und mit Tageslicht arbeite. Das Polaroid-Material ist natürlich auch noch mal ganz besonders. Es gibt also viel mehr Faktoren, auf die man sich einstellen muss, weil die Ergebnisse auch ganz anders sind. Die Polaroids sind nicht einfach direkt abbildend, sondern da findet eine Verschiebung statt durch das Material selbst.Deine Stimmung jetzt nach den Projekttagen in Wien lässt aber schlussfolgern, dass sich das Einlassen gelohnt hat.
Es hat mir total viel Spaß gemacht. Ich hab mich aber auch sehr darauf gefreut, weil es eine einmalige Gelegenheit war. Es wurde mir hinterher gesagt, dass auch in dem Umfang noch keiner so eine Serie dort fotografiert hat. Das Prinzip ist dasselbe, also das Licht fällt durch die Blende, durch den Verschluss, aber die Umwandlung ist eine andere als bei der digitalen Fotografie. Und dass sich das dann in der Größe so umittelbar zeigt und es keine Veränderung oder kein Negativ mehr gibt, sondern dass es wirklich ein 1:1-Abdruck ist, ist sehr spannend. Und das ist auch reizvoll und hat mich auch noch mal anders an die Fotografie herangebracht. Jedes Bild an sich ist spannend, weil chemische Prozesse am Werk sind, die mit dem Bild irgendetwas machen. Der eine sagt Fehler, die anderen sagen, das macht das Bild aus und das gehört zum Polaroid dazu – da gibt’s ganz unterschiedliche Ansprüche. Das Perfektionistische muss man im Grunde komplett ablegen. Man muss mit den Prozessen leben und umgehen, sie miteinbeziehen und akzeptieren.
Du hast im Prinzip komplett veränderte Rahmenbedingungen gehabt bei dieser Serie, das heißt also technisch, Licht, Aufbausituation, Atelier vs. Studio Wien. Erweitert hat sich deine Serie Portraits of a Serialsammler, vielleicht als folgerichtige Fortsetzung des großen Genres der Malerei, dem Stillleben oder dem Herrscherportrait. War das für dich eine wichtige Klammer, die du hier aufrechterhalten kannst?
Also eine wichtige Klammer, ich weiß nicht... das leitet sich aus den ersten Arbeiten ab. Also dieses Prinzip des Verhüllt-Seins, das Gesichtslose, dass ich im Grunde nicht erkennbar bin, hat sich für mich noch mehr aus diesem Video, Se king von 2009, abgeleitet. Das Posieren oder diese Persiflage auf Posen von einem Herrscherportrait, dass das noch mal auf die Spitze getrieben wird, das stand für mich im Vordergrund, aber auch der Umgang mit den Dingen, die im Bild eigentlich das Herrschaftliche oder Königliche ausmachen. Auch der [sic] Zepter wird ganz unterschiedlich eingesetzt. Da stehen auch Vasen rum, mit denen immer irgendwie hantiert wird. Oder der Stuhl wird anders benutzt. Also alle Dinge, die das Herrscherportrait bedingen, werden umfunktioniert, auf den Kopf gestellt, auch auf den Kopf genommen. Die Posen, die den Herrscher definieren, werden dann von mir persifliert. Es verallgemeinert ein Portrait natürlich auch dadurch, dass es kein Gesicht gibt. Die vermeintliche Krone ist ein Blumentopf... und die wird dann ein Helm... ist aber gleichzeitig auch Krone. Die Bedeutung der Dinge verändert sich einfach, indem man sie einfach anders benutzt. Und trotzdem wird es sofort als ein Herrscherportrait wahrgenommen. Das Gesicht ist eigentlich überhaupt nicht wichtig, sondern die Pose, das Licht, die Farben.
Ist das der Grund – diese Pose und Dramaturgie, dieses Vertraut-Sein für den Betrachter – dass die Arbeiten so selbsterklärend sind? Weil sie gewohnte Chiffren und gewohnte Sehgewohnheiten erfüllen, die wir aus der Kunstgeschichte kennen?
Ja, das denke ich schon. Darum geht’s ja auch, dass ich im Grunde mit solchen Codes arbeite, damit spiele oder einsetze. Ein rotes Bettlaken, wenn man das umhängt, wird dann auf einmal ein königlicher Umhang. Oder diese Bretterwand, die einen vermeintlich königlichen Raum andeutet, das sind alles Fundstücke. Alles hat aber auch eine Patina, sieht ein bisschen gelebt aus, wie Malereispuren. Das sind Verweise auf Malerei eben auch durch die Farbbenutzung oder -zusammenstellung, aber ebenso durch die Lichtführung. Da arbeitet das kollektive Gedächtnis oder auch die Pathosformel von Aby Warburg, zum Beispiel. Das ist ein von Warburg kunsthistorisch geprägter Begriff, der formelhafte Gestik und Mimik des Gefühlsausdrucks eine universale Gültigkeit unterstellt. Weil das an manchen Stellen sehr herrschaftlich aussieht und an manchen Stellen eben das wieder komplett nicht. Da wird es eher lächerlich oder ulkig und dieser König wirkt dann völlig entmachtet oder ist überhaupt nicht ernst zu nehmen.
Diese erste royale Anmutung des Blicks wird dann, wie du sagst, relativ schnell gebrochen durch diesen shabby chic und kommt dann eher zu der Anmutung eines spontanen Arrangements des Aufbaus. Aber deine Arbeit ist vielmehr minutiös durchstrukturiert. Wie viel Zufall darf in deinem Aufbau auf Konstruktion treffen?
Das war jetzt wirklich interessant bei der Arbeit, weil ich die ganzen Posen vorher im Studio schon einmal durchzelebriert habe. Und, weil die Anzahl der Polaroids einfach begrenzt war und man nicht, so wie im Digitalen sagen kann: Ich mach jetzt noch mal 40, 50 Bilder. Ich hatte zwar erst die Idee, ich brauch vielleicht keinen Assistenten, wir machen das irgendwie so, ich stell mich vorne hin und dann machen wir ein Foto. In der Vorbereitung wurde mir dann aber relativ schnell klar, dass das meinen Ansprüchen wahrscheinlich nicht genügen würde, weil es nicht nur um das Dokumentarische geht. Ich wollte auch, dass es etwas Bildhaftes bekommt. Ich habe mir gewünscht, dass die einzelnen Fotografien für mich auch als Bild funktionieren. Und deswegen habe ich alle vorher schon mal durchgespielt, die ganzen Posen, und fotografiert und das dann im Grunde nachinszeniert. Mich positionieren lassen, was ich eigentlich so noch nie gemacht habe. Im Grunde hat der Zufall vorher stattgefunden. Also eigentlich ist es eine Re-Inszenierung des Zufalls. Wie das Bild dann aussieht, kann ich nicht wissen, also wie der Vorhang fällt oder wie ich genau stehe. Ich mach nur die Auswahl von diesen Selbstinszenierungen selber und da ist immer ein Stück Zufall drin. Deswegen mache ich das auch immer mit Selbstauslöser, denn, wenn ich das von außen sehen würde, könnte es durchaus passieren, dass man anfängt, anders zu gestalten. Dass man sagt: Mach mal das Bein so, mach mal den Vorhang so, setz dich mal so hin. Und deshalb habe ich es diesmal erst mal selber inszeniert und dann meinem Assistenten gegeben: So, wiederhol mir das jetzt. Deswegen hat es auch gedauert, das jeweilige Foto zu machen. Aber man muss dadurch, dass das Polaroid war, offen bleiben und sagen: Ok, wir können das nicht so wiederholen, das Material macht was anderes, das Licht ist anders, der Bildausschnitt ist ein anderer, die Vorlagen sind jetzt doch einfach ganz andere. Nur die Pose selbst, die ist jetzt nicht mehr so zufällig. Aber das Bild selber war eigentlich doch extremem Zufall ausgesetzt und das hat der Sache auch total gutgetan.
Zurück zum Helden: „Don Quijote de la Mancha“ von Miguel de Cervantes wurde 2002 vom Osloer Nobel-Institut von einem Gremium aus 100 bekannten Schriftsteller zum besten Buch der Welt gewählt. Leitet sich daraus möglicherweise eine noch tiefere Legitimation für deine Arbeit ab?
Das könnte ich natürlich jetzt behaupten, aber so habe ich die Arbeit eigentlich nicht konstruiert oder konzipiert. Ich hatte es auch vorher gar nicht gelesen. Das passiert ja, dass man dann von Freunden und Bekannten oder Leuten, die sich irgendwie für deine Arbeit interessieren, hört: „Hast du das und das gelesen? Oder kennst du den und den Künstler?“ Und dazu gehörte das Buch eben auch – aber ich hab’s eher danach gelesen und war schon mitten im Prozess.
Kunsthistoriker und Journalisten verorten deine Arbeit meiner Ansicht nach häufig vorschnell als charakteristisch-zeitgenössisch, obgleich der eben angesprochene Held aus Kastilien ein Kind der spanischen Renaissance ist. Sein berühmter Kampf gegen Windmühlen fand also vor über 500 Jahren statt. Handelt es sich bei Reginald von Eckhelm, Padre Blechle oder Hakon del Plume eher um zeitgenössische oder historische Figuren?
Ich glaube, dass das vielleicht das Interessante an den Figuren oder an den Portraits ist, dass sie eine Brücke schlagen. Das speist sich aus diesem Figuren-Kosmos, aber es ist das heutige Medium, die Fotografie, es sind Dinge und Gegenstände, Kleidungsstücke der heutigen Zeit, nicht 500 Jahre alt, aber 20 Jahre alt vielleicht. Die bekommen dadurch eine eigene Zeitlichkeit, weil diese Gegenstände eben auch aus verschiedenen Zeitepochen kommen. Vielleicht kann man so einer Portraitmalerei auch etwas Zeitgenössisches hinzufügen. Dass die Bilder von jetzt sind, ist klar, oder aus den letzten paar Jahren. Insofern denke ich schon, dass sie dadurch zeitgenössisch sind, dass sie sich aus dieser Gegenständlichkeit und diesem Überfluss prägen. Also mein ganzes Atelier ist voll mit Material, das kein Mensch mehr haben will. Insofern speist sich diese Arbeit eben auch aus dieser Gegenstandswelt, die an den Stadträndern abgelagert wird oder weggeworfen oder auf Flohmärkten verschenkt wird. Ich zeige dieses Lager auch zum Teil bei Ausstellungen. Dass dieses Zeug überall rumfliegt, ist eben Symptom einer Überflussgesellschaft, unserer Zeit.
Da sind wir also an der Stelle, wo der offensichtliche Humor der ersten Ebene deiner Arbeit eine gewisse Ernsthaftigkeit erhält und auch da lässt sich sicherlich eine historische Brücke herstellen. Auch das hat ja der Hof des Mittelalters und der Renaissance-Zeit immer gesucht, nämlich jemanden, der ihnen den Spiegel vorhält. Also gibt es – wenn ich dich da richtig verstanden habe – auch eine tiefere, kritische Ebene in deiner Arbeit.
Das ist als Künstler ganz schwierig, finde ich. Moralisierend, das ist nicht meine Arbeitsweise oder Arbeitsform. Dafür lebe ich viel zu sehr auch in dieser Gesellschaft. Ironisieren ist da ein besserer Weg. Ich bin ja auch Konsument. Und gleichzeitig lebe ich davon, dass ich diese Sachen sammle, und davon speist sich meine ganze Arbeit. Man bekommt dann durch die Hintertür so ein Bewusstsein dafür, was ist das eigentlich für Zeug? Man guckt sich dann vielleicht auch mal um, muss ich mir jetzt wirklich schon wieder das Neueste vom Neuen kaufen? Brauche ich das alles wirklich oder kann ich das vielleicht doch noch irgendwie bewahren und kann damit irgendwas machen? Das muss ja immer jeder für sich so entscheiden, aber, dass man bewusst eine Wahrnehmung für sich und seine Umwelt und seinen Verbrauch und einen bewussten Umgang damit hat, dafür ist es schon da.
Um rein zu moralisieren ist der offensichtliche Humor in deinem Werk und der Spaß, den du ebenso augenscheinlich bei deiner Arbeit hast, wahrscheinlich auch zu präsent. Aber diese Fragestellung steckt irgendwo mit drin, vielleicht auch als Auseinandersetzung bei dir, wenn ich das richtig rausgehört habe.
Ich finde, schon. Ich profitiere unheimlich davon, dass die Leute alles wegwerfen. Es gibt ja auch Länder, in denen das gar nicht so geht. Ich war vor einigen Jahren mal im Jemen, und da wird einfach nichts weggeworfen. Da wird alles noch mal repariert und wiederverwendet. Und da gibt’s gar nicht so viel Zeug, das keiner mehr braucht oder das keiner mehr möchte, und da musst du für alles irgendwie bezahlen. Und hier gibt’s Flohmärkte, da wird um ein Uhr alles verschenkt. So, und dann komme ich und profitiere davon natürlich, weil das mein Arbeitsmaterial ist.
Hast du schon mal darüber nachgedacht, im Kontext beispielsweise der National Portrait Gallery als Substitut jeder zweiten Arbeit ein Werk von dir zu hängen oder macht dir der Gedanke Spaß? Also die Gegenüberstellung mit den klassischen Vorbildern, die du, aber auch deine Betrachter im Kopf haben?
Ja, klar, kann ich mir das gut vorstellen. Das wurde auch schon gemacht und ich habe schon mit der Museumssammlung und auch dialogisch gearbeitet. Oder, dass Museen meine Arbeiten in Portraitsammlungen reingehängt haben.
Im Prozess deiner Arbeit ist mir aufgefallen, dass du bei der Betrachtung der Ergebnisse oder Zwischenergebnisse von dir selber als „der Figur, ...die den Helm aufsetzt ...und die Lanze senkt“ sprichst. Das klingt nicht nach dem klassischen Umgang des Künstlers mit seinem Selbstportrait. Findet da schon eine Distanzierung statt?
Das ist so: Der Künstler ist in seinem Atelier. Aber ich sehe mich eher wie eine Kunstfigur. Auch, dass ich hier diese Sachen sammle – ich weiß gar nicht, ob ich sammeln würde, wenn ich nicht Künstler geworden wäre. Für mich geht’s nicht um mich und meine Person, Thorsten Brinkmann. Deswegen spreche ich dann von einer Figur. Zu Hause sieht das Leben für mich auch anders aus als hier. [lacht] Ich habe eine Wohnung, die sieht nicht so aus wie mein Atelier. Ich finde die Trennung ganz gut. Wenn man rüber geht in mein Atelier, liegt da viel Zeug rum. Das braucht es aber auch als Arbeitsatmosphäre. Dann fällt mir mehr ein und ich kann besser agieren und mit den Materialien spielen. Es gibt das Privatleben und es gibt mein Künstlerleben oder meinen Beruf. Das überschneidet sich zwar immer wieder, aber deswegen spreche ich auch von der Figur.
Also es geht mehr um das Symbol?
Ja, schon: „Warum zeigt er denn nicht sein Gesicht!?“ Es geht nicht darum, mein Gesicht zu verstecken, weil ich mich nicht leiden kann oder nicht gesehen werden will. Ich wollte mit mir arbeiten, weil ich viel mit der Dingwelt gearbeitet habe und ich das thematisieren wollte. Aber mich hat es nicht interessiert, das als Person Thorsten Brinkmann zu thematisieren, sondern wie ich mit dem Körper und der Dingwelt arbeite. Und dann kann man sich natürlich fragen: Wie macht man das? So gab’s irgendwann das erste Portrait. Es gab aber auch schon viel frühere Arbeiten, wo ich auch selber immer eher unkenntlich bin. Wo es um den Körper und um eine Wahrnehmung des Selbst geht, aber ich eigentlich kein Interesse habe, mich selber zu thematisieren, sondern eher im Allgemeinen. Und wenn du einen Helm aufziehst oder sowas, dann bist du halt allgemeiner. Dann bist du nicht mehr als Gesicht präsent oder als Charakter, die Figur wird dadurch viel universeller. Das war für mich immer eine Schwierigkeit bei den Selbstinszenierern aus den 70ern und 80ern, auch die heute noch populär sind. Da habe ich das Gefühl, das sich das von denen als Figur überhaupt nicht mehr trennen lässt. [Marina] Abramovic zum Beispiel – das ist ein absoluter Personenkult. Ich finde die Arbeiten auch zum Teil ganz gut, das ist völlig unbestritten. Aber man kann sich schon damit auseinandersetzen, ob man das gut findet, eben weil diese Person so in den Vordergrund gerät. Das wollte ich vermeiden. Ich wollte wissen, ob es möglich ist, mit sich selbst so zu arbeiten und mit Selbstinszenierungen, ohne sichtbar zu werden, ohne präsent zu sein. Und, ja, das geht. [lacht]
Du hast den Jemen angesprochen und die unterschiedliche Wahrnehmung deiner Arbeit in unterschiedlichen Kulturen. Ist es tatsächlich so, dass der für uns sehr präsente, sehr ansteckende Humor, den sie ausstrahlen – in unserer westeuropäischen Wahrnehmung – dass der nicht universell gilt?
Das ist tatsächlich eine ganz kulturelle Angelegenheit. In Europa reiht es sich eher in eine Tradition der Renaissance-Malereigeschichte. Und dann finden die meisten Leute das irgendwie absurd oder dadaistisch; hier werde ich auch oft im dadaistischen Kontext erwähnt. In den USA schon ganz anders, weil es dort eben viele gibt, die sich vor diesen Figuren, die einfach Maskierte sind, eher fürchten, die sind da einfach paranoider. Die haben einfach Angst vor verhüllten Personen. Das ist tatsächlich eine Angst vor Terror, seit dem 11. September ist Amerika einfach traumatisiert. Aber da war schon immer auch eine Angst vor diesen Figuren: Er ist verhüllt, warum? Weil die aber auch die Titel nicht einsortieren können, die ja auch noch mal etwas sagen. Reginald von Eckhelm, das ist so ein Titel, den verstehen die Amerikaner vielleicht nicht in der Form und können ihn einfach nicht einsortieren. Aber auch in Asien wurden die [Figuren] eher in eine SM-Richtung gelesen, wenn man sich so einkleidet und dann noch irgendwas über den Kopf zieht, das wär ja dann irgendwas Sadomasochistisches zum Beispiel. Oder ich wurde auch mal nach Nigeria eingeladen. Da gibt es auch eine stark ausgeprägte Voodoo-Kultur mit Wiedererkennungen und wenn man sich das anschaut, dann ist es auch verständlich, dass man dann denkt: Also dies erinnert mich nun daran und hat das damit was zu tun? Das heißt eigentlich, dass es über das Formale immer wieder verschiedene Anknüpfungspunkte gibt, und das wiederum schließt eigentlich den Kreis zu Aby Warburgs Pathos-Formel. Weil es eben darum geht, dass es an verschiedenen Ecken der Welt ähnliche Phänomene auftauchen, selbst, wenn sie über 50 Jahre verschüttet waren. Und Warburg hat auf Tafeln Bilder gesammelt und Ähnlichkeiten gesucht. Und diese Ähnlichkeiten, die gibt es sowohl in Asien, in Amerika, in Nigeria, auch im Jemen und durch die Verhüllung fühlten die sich dort auch angesprochen. Vielleicht haben diese Fotografien aber auch deswegen heutzutage so eine Relevanz oder so eine Aufmerksamkeit bekommen, weil sie auch formal anknüpfen. Und mir geht’s jetzt überhaupt gar nicht um eine Burka oder eine Komplettverhüllung in dem Sinne, aber es gibt interessanterweise auf einmal so eine Verknüpfung. Oder wenn ich eine Arbeit auf einen orientalischen Teppich hänge, gibt es auf einmal einen ganz sonderbaren Brückenschlag zwischen der orientalischen Kultur und der Renaissance-Malerei.
Und – wo wir gerade bei Kunstgeschichte sind – ich wurde auch mal von einem Professor aus Finnland eingeladen, der wiederum [Kasimir] Malewitschs Bauernfiguren darin erkannt hat. Und das fand ich ganz spannend, weil ich mich auch lange mit der Reduktion bei Mondrian und Malewitsch beschäftigt habe. Natürlich sehen die Figuren nicht so aus, aber die Bildsprache hat sich bei mir dann doch irgendwie niedergeschlagen.
Du hast die kollagenhaften Bildtitel angesprochen. Wie wird der Titel der Wien-Serie lauten?
Ja, das ist noch nicht ganz entschieden. Se King – revisited finde ich eigentlich ganz gut. Jetzt habe ich gesehen, dass die Kunsthalle auch irgendwas mit revisited hat, und das fand ich dann irgendwie nicht so geschickt. Weil ich wie gesagt dieses Video schon gemacht hatte, aber das ist ein anderer Helm, ein bisschen andere Kostümierung und der Hintergrund ist auch ein bisschen anders. Es sind auch viel mehr Posen drin, die Gegenständlichkeit ist auch ein bisschen anders. Aber es könnte schon ein Wiederbesuch von diesem König sein. Ich muss nur über dieses revisited nachdenken...
Bei der Kunsthalle war das aber Lichtwark und der ist weit genug weg, in Ehren gehalten, und es ging auch um die konzeptionelle Arbeit, Künstler nach Hamburg einzuladen, um sich mit Hamburg auseinanderzusetzen. Insofern ist das vielleicht sogar eine angemessene Nachbarschaft.
Vielleicht, das muss ich noch mal sacken lassen. Ich weiß auch nicht, ob ich das vorher irgendwo gelesen hab. Ich fand es einen total guten Einfall [lacht] und, nachdem ich das dann später gesehen hatte, gedacht: Sag mal, hab ich das da irgendwie her oder ist das Zufall? Aber das weiß man nie so genau. Das ist auch wieder dieses Warburg-Ding, das poppt irgendwie auf... Se King revisited, das ist ja eigentlich wie director’s cut oder so. Es kommt sowieso von dieser Posiererei, von diesem Posen-Finden in den Fotografien, die ich in der Form zum Beispiel auch fotografisch noch nie gemacht habe. Das ist auch noch mal das Interessante an der Serie, dass ich bisher mit Video gearbeitet, das Persiflieren der Pose aber in den sonstigen Fotoarbeiten noch gar nicht gemacht habe. Und deswegen ist es bei dieser Fotoserie auch schön, dass sie diese Pose auf den Kopf stellt, aber auch die Dingwelt, die Insignien der Macht sozusagen, dass damit auch anders umgegangen wird als üblich. Und das wiederum greift verschiedene Aspekte auf, die ich in meinen früheren Arbeiten auch schon durchgearbeitet habe. Insofern hat sich da vieles niedergeschlagen. Der Titel würde dann schon gut passen.
Also es handelt sich klar erkennbar um einen neuen Werkzyklus, der aber in einer schlüssigen Folge steht.
Ja, das ist ja oft der Fall... also ich setze mich selten hin, wenn überhaupt, und versuche mir irgendwas auszudenken, was irgendwie ganz neu ist. Also so ist meine Arbeit nicht angelegt. Es speist sich oft aus dem, was passiert oder passiert ist oder was sich während der Arbeit entwickelt. Es ist immer ein gegenseitiges Befruchten, insofern kommt’s auch aus der Arbeit der letzten Jahre.
Hast du denn aus Wien von Supersense auch einen Impuls mitgenommen, der dir Ideen für neue Themen gibt oder irgendwas, wo du sagst: Daran möchte ich gern weiterarbeiten?
Das habe ich. Aber oft genug passiert es mir dann auch, dass nach geraumer Zeit neue Sachen kommen, und dann verliert sich das leider wieder.
Also analog muss nicht mehr sein?
Tatsächlich denke ich schon darüber nach und kann mir vorstellen, mehr damit zu arbeiten. Durch Polaroid, also dieses Format und dieses Direkte, habe ich wieder eine alte Leidenschaft für das Foto-Machen entdeckt. Ich habe auf einmal gemerkt, dass mir das Bild-Machen und dieser Ablauf doch sehr gut gefällt. Es hat eine ganz eigene Qualität, die ja auch die Dunkelkammer hat. Die ich aber auch froh war, irgendwann zu verlassen, muss ich auch sagen. Als das Digitale kam, fand ich es super, dass ich nicht mehr die ganze Zeit im Dunkeln arbeiten muss. Und dieses „Magische“, dieser Moment, in dem sich das Bild abzeichnet, und die Überraschung jedes Mal habe ich jetzt auch beim Digitalen, wenn ich das Ergebnis auf meinem Rechner angucke und sehe, was für ein Bild daraus geworden ist. Die Zeitspanne ist beim Digitalen nicht mehr da, und dagegen ist das Analoge bei Supersense extrem. Die machen ihre Platten selber, die Cover drucken sie selber, da muss alles die Sprache des Selbermachens haben. Und das hat seinen Reiz, dass man überall seine Spur hinterlässt. Es hat auch viel damit zu tun, was für manchen der Begriff von Wahrheit ist. Ich glaube, dass das in Österreich eine große Rolle spielt, Authentizität – was ist das eigentlich? Es hat so seinen Reiz, dieses Direkte, auch irgendwie Handwerkliche daran.
Thorsten, auf dem Weg ins Atelier unterhalten wir uns jetzt weiter über die Hundeschwanzwedelmaschine und ich bedanke mich herzlich für das Gespräch.
TB: Sehr gerne, vielen Dank.
Das Interview führte Rene S. Spiegelberger mit Thorsten Brinkmann am 28.03.2017 in Hamburg.