Ateliergespräch - SEO
In welchem Alter war Dir bewusst, dass sich Dein Leben um die Kunst drehen würde?
Als ich so zwölf Jahre alt war, ging meine Schwester bereits jeden Tag zur privaten Kunstschule. Ich war damals noch zu jung und durfte ent- sprechend nicht mit ihr mit, bin ihr dann aber immer heimlich hinterher gegangen. Meine Mutter hat dann stets mit mir geschimpft, weil ich ihr immer alles weg genommen habe, die Kreide, das Papier und wenn ich nichts bekommen habe, habe ich an der Wand weiter gemalt.
Schließlich hat sie dann verstanden, dass in mir diese Leidenschaft steckt und dann durfte auch ich parallel zur normalen Schule nachmittags auf die private Kunstakademie gehen. Eigentlich waren die Weichen bereits im Kindesalter so gestellt.
Du bist mit Anfang 20 aus Süd-Korea nach Deutschland gekommen, um hier weiter zu studieren. Was hat Dich zu diesem Schritt veranlasst?
In Korea hatte ich traditionelle Tusche-Malerei studiert. Landschafts-malerei, Kaligraphie und so weiter, aber das wurde mir schnell zu langweilig. Ich habe damals auf Reispapier gemalt, mit dem ich auch heute noch arbeite. Aber hierbei gibt es, selbst wenn man mit dem ganz feinen Einhaar-Pinsel arbeitet, kein Zurück, also zerreißt man die Arbeiten mit denen man nicht zufrieden ist und schmeißt sie weg.
Eines Tages bemerkte ich diese klein gerissenen Papierstücke mit ihrer Tusche-bemalung, die ich vorher bemalt hatte, im Papierkorb. Ich habe dann alles raus geholt und auf die Leinwand collagiert. Das fand ich sehr interessant. Genau zu diesem Zeitpunkt lernte ich einen Lehrer kennen, der in Deutschland bei Petrick studiert hatte. Er hatte viele Kataloge über die neuen Expressionisten, Baselitz, Penck, Kiefer, natürlich Polke, die er mir zeigte. Davon war ich so beeindruckt, dass ich einige Bilder nach- malte. Richtige Farbe auf Leinwand in Öl. Diese Pinselbewegung, die abstrakte Form, das hat mich unglaublich berührt und da dachte ich, dass es wichtig für mich ist, die Original-Bilder zu sehen, die Energie von den Meistern selber zu spüren.
Also habe ich meinen Koffer gepackt und bin nach Deutschland gereist. Das war natürlich nicht einfach, weil ich hier niemanden kannte, meine einzige Information war, dass Professor Baselitz an der UdK in Berlin (Universität der Künste; Anm. d. Redaktion) in Berlin war. Nur mit dieser Information bin ich dann direkt nach Berlin gegangen.
Hast Du dann auch direkt zu ihm Kontakt aufgenommen?
Nein, natürlich nicht. Das war wahnsinnig schwierig, ich konnte ja auch gar kein deutsch sprechen, lediglich das Alphabet hatte ich gelernt. Ich bin also erstmal zwei Monate in die Sprachschule gegangen, um dann die Nachmittage in der Akademie zu verbringen, wo ich noch niemanden kannte. Hier ging ich dann in die Baselitz-Klasse und habe die anderen Studenten beobachtet. Was sie können und wie sie arbeiten. Einer gab mir dann die Termine der Mappen-Besprechungen der Baselitz-Klasse und so konnte ich mich vorbereiten.
Ich nahm also eine riesige Mappe mit meinen Arbeiten mit, die sicherlich über dreißig Kilo schwer war und da ich keinen Termin hatte, habe ich einfach im Treppenhaus auf ihn gewartet. Irgendwann machte er die Tür auf, kam auf mich zu und ihm folgte ein riesiger Pulk von Studenten. Da habe ich dann versucht so gut es ging auf deutsch zu sagen: ‚Herr Baselitz, ich will Ihnen meine Kunst zeigen‘ und er guckte seinen Assistenten an und sagt ‚Was will sie? Ich verstehe sie nicht.‘ (SEO lacht) Der kam mir dann zu Hilfe und sagte ihm, dass ich meine Mappe zeigen wolle. Darauf bat er seinen Assistenten mir zwei Wochen später einen Termin zu geben. Das hat mich so so glücklich gemacht!
Ich bin dann sofort nach hause gegangen und habe zwei Wochen lang gezeichnet und gemalt. Ich wollte alles zeigen was ich kann. Dann nahm ich all meinen Mut zusammen, aber Herr Baselitz sagte mir, dass ich erstmal versuchen sollte andere Professoren zu treffen. Ich habe ihm versichert, dass ich das machen werde, bat ihn aber dennoch um einen zweiten Termin, worauf er lachte, mir aber einen weiteren Termin gab. Während dieser zwei Wochen habe ich alle Professoren besucht, die er mir nannte. Aber alle sagten mir, dass meine Kunst genau in die Baselitz-Klasse passe und ich zu ihm gehen solle.
Als ich ihn dann das zweite Mal traf, sagte ich ihm, dass mir alle geraten hatten zu ihm zu gehen, worauf er lachte und ungläubig fragte, ob ich tatsächlich alle Professoren besucht hätte, die er mir genannt hatte. Darauf gab er mir einen dritten Termin und bat mich ihm dann zu zeigen, was ich in meiner Ausbildung der Tuschemalerei und des Naturstudiums gelernt habe. Das ging dann drei Monate so hin und her und dann bekam ich endlich eine Legitimation, in seine Klasse aufgenommen zu werden. Hierüber war ich natürlich sehr glücklich.
Wie hast Du Deutschland damals wahrgenommen und was hat sich seither für Dich hier verändert?
Das erste Mal als ich nach Berlin kam und zu meiner Studenten-Wohnung ging, dachte ich, dass mir die Straße bekannt vorkäme. Es war wie ein Déjà-vu für mich. Es war mir also nicht fremd, obgleich ich wusste, dass ich nie zuvor hier gewesen war, schließlich war dies mein erster Auf- enthalt in Europa. Das war also ein angenehmes Gefühl. Von da an bin ich jeden Tag mit dem Bus durch die Stadt gefahren und habe die unterschiedliche Architektur und die Berliner Stadtlandschaft in mich aufgenommen. Ich war und bin von der Vielfalt begeistert.
Du bist regelmäßig in Korea. Wie geht man dort mit Deiner Berühmtheit als international bekannte Künstlerin um und wie nehmen Deine Landsleute dich wahr?
Das begann 2004, als mein Galerist Michael Schultz das erste Mal in Korea meine Kunst zeigte. Zu diesem Zeitpunkt war ich in Deutschland als Meisterschülerin schon ein wenig bekannt. Mein Gefühl aber war, dass die Koreaner mich und meine Kunst noch nicht akzeptieren wollten. Vielleicht dachten sie, dass sei nur ein vorübergehender Hype. Doch auch jedes folgende Jahr wurden meine Arbeiten in Korea gezeigt.
In 2007 gab es eine Einzelausstellung in der Hyundai Gallery sowie die Teilnahme an der Gwangju Biennale, und damit waren dann auch die letzten Zweifler überzeugt. In Korea war das schon eine kleine Sensation, wenn man als sehr junge Künstlerin in diesem Umfeld gezeigt wird. Es stand in allen Zeitungen und ich empfand das als große Ehre.
Im Frühjahr hat das Koreanische ‚ZDF’ dann ein Porträt über mich ge- dreht. Das Fernsehteam ist 10 Tage nach Deutsch- land gekommen. Dann haben wir einige meiner prominenten Sammler, wie Martin Hoffmann, den Intendanten der Berliner Philharmonie, Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder, den Publizisten Manfred Bissinger sowie unseren Aussen-minister Guido Westerwelle besucht. Natürlich haben wir dazu auch noch mit Georg Baselitz einen Termin in München gemacht und ich habe mich sehr gefreut, dass er sich so genau erinnerte, was ich alles gemalt hatte und worüber wir zusammen während meines Studiums sprachen.
Seit die Reportage dann im April in Korea gezeigt wurde, habe ich Anfragen für Besuche von ganzen Schulklassen. Gott sei Dank arbeite ich in Deutschland und kann so dem Rummel ein wenig aus dem Weg gehen; andererseits genieße ich die Bewunderung, die mir meine Landsleute entgegenbringen.
Du hast noch in Korea Tusche-Malerei studiert, die überwiegend schwarz bzw. einfarbig gehalten ist. Was bedeuten Dir heute Farben?
Also die Tusche-Malerei ist etwas total anderes und ich erinnere mich, dass mir Baselitz während des Studiums immer sagte: ‚Seo, bei Dir gibt es gar keine richtige Farbe. Du mixt immer alle Farben mit Schwarz. Probiere einfach mal eindeutige Farben Rot, Blau oder auch Schwarz und Weiß, aber ungemischt.‘ Das war für mich ein bisschen schwierig, weil ich diese intensiven Farben bisher selten genutzt hatte, da diese in meiner klassischen Ausbildung so nicht vorkamen. Deswegen war dies eine fremde Welt für mich.
Heute glaube ich, dass diese Farben einfach Leben zeigen. Ich bin ein fröhlicher Mensch und die farbenfrohen Bilder machen mich glücklich. Aber das ist nicht nur durch das Farbenspiel, sondern das liegt auch an meiner Technik. Collage zu Collage. Ich zerreiße immer die Schönheit. Da habe ich als Ausgangsmaterial das perfekte schöne Papier, dass ich dann zerreiße. Immer Zerstörung. Es ist also schon ein kleiner Akt der ..... Brutalität, damit es am Ende im Ergebnis wieder schön wird.
Deine häufig in erster Linie als schön und harmonisch wahr genommen Bilder setzen sich aus einer Unzahl kleiner zerrissener Papierstücke zusammen. Ist diese Technik auch parallel als inhaltliche Aussage zu verstehen oder ein rein gestalterisches Element?
Diese Kunst lebt ja nicht parallel. Ich und meine Kunst gehören zu- sammen und jeder Künstler zeigt mit der Kunst auch seine Persönlichkeit. Wie bei jedem Menschen gibt es auch in mir zwei Pole, allerdings sind diese bei mir nicht so ausbalanciert wie das üblich ist. Ich kann im Schaffensprozess sehr ..... aggressiv, aber dann eben auch wieder unheimlich ..... lieb werden. Und das wird dann durch den Prozess des Zerstörens und wieder Zusammenfügens in die Harmonie und die Balance geführt.
Deine aktuelle Ausstellung „12 Quadrate gegen den Krieg“, die gerade in der Galerie Michael Schulz in Berlin zu sehen war, zeigt sehr klar Deine Auseinandersetzung mit dem Weltgeschehen. Was hat diesen Wunsch nach Deutlichkeit ausgelöst?
Das Thema hat mich bereits sehr lange Zeit beschäftigt. Aber es ist natürlich ein sehr schwieriges Thema und ich überlegte lange, wie ich dies auf die Leinwand übersetzen könnte. Jedes Bild war für mich wie ein Tagebuch. Jeder von uns lebt in dieser Welt, die voller Krieg und menschlichem Leid ist.
Die Informationen prasseln über die Medien auf uns ein. Immer wieder schockiert und berührt mich dieses Thema, so dass es fast zwangsläufig war, dass ich mich daran abarbeiten musste. An der Traurigkeit, dem Schmerz und der Brutalität des Krieges. Aber mir ging es nicht darum, Fleisch und Blut zu zeigen, sondern das Leid, welches die Folge der Kriege ist. Mir ging es um das Wesen des Krieges, welches uns zum Nachdenken zwingt, viel stärker vielleicht, als wenn Blut und Fleisch aus den Bildern fließen würden. Dieser Umgang gibt selbst einem so brutalen Thema eine tiefe Emotionalität.
Die Ausstellung war bereits zur Vernissage fast ausverkauft. Was bedeutet Dir unabhängig von der monetären Komponente dieser Erfolg?
Mir ist diese Anerkennung sehr wichtig. Dass die Menschen gerne meine Kunst haben wollen und sich mit meiner Kunst privat weiter beschäftigen und zuhause damit leben wollen. Wir alle brauchen Anerkennung, und ich erfahre Sie über meine Kunst und kann deshalb auch sehr glücklich und stolz sein.
Du hast Dich einmal als Neo-Romantikerin beschrieben, was verstehst Du darunter?
Nicht ich selber. Man hat mir dieses Etikett umgehängt. Ich hatte mich mit diesen romantischen Themen beschäftigt, weil auch für mich das Sinnliche und das ‚Schöne‘ zum Alltag gehören. Ich liebe die Alpen und die Natur ganz allgemein und damit habe ich mich dann auch intensiv auseinander gesetzt. Somit war ich dann die Neo-Romantikerin.
Am Anfang fand ich dieses Etikett ziemlich altmodisch, aber mittlerweile bin ich mit mir und dieser Zuordnung im Reinen. Wer die Weiter- entwicklung meiner Themen beobachtet, kann sich selbst ein Bild über meinen Stil machen. Ich bin und bleibe ein politischer Mensch, und somit ist meine Malerei als Konzentrat meiner Auseinandersetzung mit den Problemen dieser Welt zu sehen.
Für die Unikat-Edition wolltest Du gern ein abstraktes Motiv schaffen. Welche neuen Möglichkeiten ergeben sich für Dich durch die Abstraktion, und wie wichtig wird diese für Deine künftige Arbeit sein?
Absolut zentral. Sehr wichtig. Ich hatte ja auch nicht gestern die Idee und habe heute mit der Arbeit für diese Edition begonnen. Hierzu überlege ich schon sehr lange. Vor einiger Zeit habe ich dann auch einige erste Studienarbeiten hierzu gemacht, um zu sehen, wie das mit der Farbigkeit im Bezug auf meine Grundidee funktioniert und so weiter. Das hat mir dann richtig gut gefallen und eines Tages hatte ich dann wieder eine typisierte Landschafts-Collage gemacht. Dabei habe ich dann ein kleines Stück dieser großen Arbeit betrachtet und ich bin ganz nah an meine eigene Kunst herangegangen, bis ich nur noch kleine collagierte Papierstückchen in der Landschaft sah, und genau daneben standen diese abstrakten Studienbilder, und dann erkannte ich, dass in diesen im Prinzip auch die abstrakte Landschaft drin steckt.
Bei mir waren ja die Details auch schon vorher abstrakt, aber das wollte ich nun noch eindeutiger umsetzen. Das ist ja auch das Spannende an der Technik der Papier-Collage, man könnte ja auch andere Materialien hierfür nehmen, aber gerade das Papier sorgt jedes Mal für neue Zwischenergebnisse, mit denen man wieder neue Formen zusammen fügen kann. Deshalb ist es so ein spannendes Material für mich, und deshalb wollte ich hier nun auch die Collage zur Collage führen. Das klappt natürlich sehr schön in der Idee eines großen Farb-Strudels. Es muss aber nicht zwingend ein Strudel sein, denn ich kann ihn ja auch anders zusammen setzen und dann habe ich eine neue Thematik. Das hat für mich nicht nur etwas mit der Technik zu tun, sondern geht auch um das Inhaltliche, um die einzelnen Bilder und ihre Sinnlichkeit.
Wir haben also eine kleine Ordnung auf der kleinen Leinwand und eine große Ordnung der hundert Einzelarbeiten, die wir auch in einer neuen Ordnung zusammen führen könnten. Deshalb freue ich mich, dass ich jetzt mit diesem neuen Werkzyklus beginnen kann. Denn ich finde es einfach so interessant. Wenn man dann beim Betrachten eines Strudels so viel Phantasie hat, dann kann das auch eine Landschaft oder eine Blüte oder ein Blatt sein, und beim nächsten Hinschauen vielleicht ein Sonnenuntergang. Auf jeden Fall ist es für mich ein Stück Natur oder eben die Abstraktion unserer Sinnlichkeit, die wir nicht mit den Augen sondern nur mit dem Herzen sehen können. Es gibt da also unglaublich viele Möglichkeiten dessen, was ich durch diese Bilder zeigen möchte, sowohl innerlich, als auch äußerlich.
Die Abstraktion und die Ordnung in der Abstraktion fasziniert Dich, also wird dieses Thema mit den Arbeiten für Unikat tatsächlich seinen Anfang nehmen.
Genau, nächstes Jahr werde ich hierzu dann weitere Arbeiten zeigen. Vielleicht eine Rauminstallation. Am liebsten noch mit einer Sound-Collage dazu. Ich wollte immer schon so gerne auch den Ton dazu komponieren. Das wäre doch ein schönes Gesamtkunstwerk, und hierbei wäre eben auch die Wiederholung ein ganz wichtiger Bestandteil. Immer die Wiederholung, das Zyklische und das ist jetzt bereits mit Euch zusammen entstanden und ich kann die Idee das erste Mal umsetzen.
Deine letzten Arbeiten waren überwiegend großformatig. Worin liegt jetzt die Herausforderung von 100 Arbeiten im Format 30×30cm?
Handwerklich ist dies natürlich eine größere Herausforderung, aber das Konzept und die Kreation sowohl für die Einzelarbeiten, als auch für das große Zusammenspiel habe ich ja geschlossen erdacht. Deshalb ist es überhaupt nicht schwierig. Im Gegenteil, ich habe in jeder Arbeit meinen Kreativprozess und am Ende fügt sich dann nochmals alles zu einem Ganzen zusammen.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview mit SEO führte Rene S. Spiegelberger am 1. Oktober 2010 in Hamburg