Unikat XIII - Stefan Marx
THERES A RIOT GOING ON
Von Florian Waldvogel
1971 veröffentlichte die US-amerikanische Funk- und Soul-Band Sly & The Family Stone ihr fünftes Studioalbum There‘s A Riot Goin‘ On als Kommentar auf die geplatzten Träume der Hippie-Bewegung der 1960er-Jahre. Achtundvierzig Jahre später veröffentlichen Yo La Tengo, eine der Lieblingsbands von Stefan Marx, ihr neues Album mit gleichem Titel.
Die Unikate There’s a riot going on von Stefan Marx erinnern an Protestplakate, sie sind ein Modell der Mobilmachung von Öffentlichkeit in Gegenwart und Vergangenheit. Darin zeigt sich die Referentialität seiner Arbeit, die in der Identität von Begriff und Objekt, von Inhalt und Bild die ästhetische Qualität der künstlerischen Arbeit betont und gleichzeitig eine subversive Kraft heraufbeschwören will. Seine für die Spiegelberger Stiftung entworfene Edition entwickelt einen Begriff des Politischen, der für unsere Gegenwart relevant ist. Dabei stellt sich immer wieder die Frage, wie sich die Arbeiten als widerständige, kritische Kraft in die Gegenwart einschreiben lassen. Künstler besitzen immerhin eine Art von Aktionsmonopol, Mobilisierung stellt die Fähigkeit zum Handeln her, Aktion realisiert sie. Aber auch die Poesie der Losung There’s a riot going balanciert im Terrain des Visuellen und des Raumes. Mit der räumlich gesetzten typographischen Gestaltung soll nicht nur die Idee und Aussage des Aufrufs verräumlicht werden, sondern auch der Betrachter zur Imagination und seinen geistigen Bildern hingeführt werden. Eine wichtige Rolle spielt auch die verwendete „unschuldige“ Blockschrift. Die von Marx benutzten Großbuchstaben dienen unter anderem auch dazu, die Abwesenheit dessen zu unterstreichen, wovon der Slogan spricht, von seinem rein verbalen Charakter. Sie teilen auch dieselben sozialen Räume, in denen Normen, Moral und Tabus miteinander konfrontiert werden.
Hier skizziert Marx das Wechselspiel von Ereignissen als Bilder verblassener Erinnerungen, denen gedruckte Buchstaben gegenüberstehen. Er reduziert das einst Erlebte auf seine Abwesenheit, nur die Wörter erzählen noch davon. Aber betrachtet man die einzelnen Arbeiten ganz genau, dann wird aus dem Protestruf eine marxistische Umarmung. Kleine spielerische Hinweise, die einem den Eindruck geben, dass vielleicht doch alles wieder gut werden könnte. Aber weit davon entfernt pessimistisch zu sein, sind seine Bilder, Zeichnungen und Aquarelle vielmehr Ausdruck gesellschaftlich-sozialer Strukturen wie sie sich in den verschiedensten Milieus erfahren lassen. Bei Marx funktioniert die Ironie und der Humor wie ein Ventilator für die Psyche, wie ein frischer Wind für den Geist, der uns die Fehlschläge und Existenzängste besser bewältigen und verstehen lassen. Humor hat mit menschlichem Verhalten zu tun. Er ist weder ein abstraktes Gefühl noch eine Stimmung, sondern eher eine Methode, die sich auch nur durch Erfahren begreifen lässt. Stefan Marx setzt Humor nie als Selbstzweck ein – weder formal noch inhaltlich. Sein Ziel ist vielmehr, einen Raum zu schaffen, in dem mittels Kritik, Provokation und Entlarvung anderen Gemütsbewegungen, Beziehungen und Verbindungen auf den Grund gegangen werden kann.
Die Ambivalenz des Humors, seine Fähigkeit, sich zwischen dem Utopischen und dem Destruktiven, zwischen Einsicht und Beschränktheit hin und her zu bewegen, und – vielleicht am wichtigsten – seine Absage an absolute Werte, sind zentral für seine Arbeiten.
Die ironische Selbstreflexion gibt seinen Zeichnungen eine menschliche Dimension, dabei zeigt die Kombination von Humor und Kunst sich so als politisch aufgeladene Reaktion gegen gegenwärtige Organisations- und Verhaltensmuster. Sie betonen den Widerspruch, kippen Hierarchien und führen die Welt auf einen menschlichen Maßstab zurück.
Das Alltägliche in Zweifel zu ziehen und das Vertraute neben seinem verzerrten Spiegelbild zu präsentieren, zeigt sich in der von Marx betriebenen Erforschung von Wahrnehmungsprozessen durch die Offenlegung des Bizarren im Banalen. Sein vorrangiges Medium ist die Zeichnung, die sich in ganz unterschiedlichen Kontexten manifestiert. Die Zeichnungen, T-Shirts, Magazine und Aquarelle sind Ausdruck von Erfahrungen und Beobachtungen des Alltäglichen, die mit einer kritischen Distanz bearbeitet werden, sich selbst aber immer auch als Teil desselben Alltäglichen akzeptieren. So hebt seine Praxis traditionelle Grenzen auf unterscheidet nicht zwischen Straßen- und Hochkultur, freier und angewandter Arbeit. Das Individuum ist sein wiederkehrendes Thema.
Die Bildsprache von Stefan Marx erfordert keine kunst- oder kulturgeschichtliche Kenntnis und keine Vertrautheit mit Sujets, sondern vielmehr ein sich Einlassen auf die vielfältigen Anknüpfungspunkte der Narration. Die individuellen Assoziationen können unterschiedlich sein und sich aus einer großen Bandbreite von der medialen Welt bis hin zum Alltag speisen.
Seine Kombinationen von Wortspiele, Zeichen und Figuren sind das Ich, die selbstverloren mit paralysiertem Blick in eine Welt glotzen, die ihnen nur noch die Abwesenheit des Begehrten zeigt und der Künstler zeigt uns das Warum der Entfremdung, die jeder Gegenwartserfahrung innewohnt. Die Psyche ist nicht ein archetypisches Innen, sondern der Ort der Introjektion der sozialen und kulturellen Erfahrungen.