Ateliergespräche - Jim Avignon

„Jim malt, um die Welt zum Guten zu verändern und braucht deshalbdie große Bühne.“ Das hat Dein Künstlerkollege Atak über Dich gesagt. Wie gut klappt das Weltverbessern durch Kunst?

Naja, geht so, zurzeit jagt ja ein Problem das nächste: Corona, Global Warming, Fake News, cartoonhafte Despoten an der Macht und überall auf der Welt wird die Demokratie ausgehöhlt, da reicht es leider nicht, als Künstler ab und zu ein Bild ins Netz zu stellen, um die Welt zu verbessern. Aber immerhin kann Kunst Menschen für Probleme sensibilisieren und zum Nachdenken anregen und so zumindest mithelfen, die Menschen auf den Weg zu bringen …

Gesellschaftskritische Gewissensfragen, politische Systemkritik und menschliche Charakterdefizite taugten außer bei Keith Haring eigentlich nie als Pop-Art Sujets. Das Label wirst Du dennoch nicht los. Passt das für Dich?

Meine “PopArt“ hat relativ wenig mit der Kunstrichtung Pop-Art, dafür aber ziemlich viel mit Popmusik und Pop als Haltung zu tun. Pop hat es immer beeindruckend geschafft, gleichzeitig gut zu unterhalten und trotzdem auch Gesellschaftskritik und Zeitkommentar zu sein und genau das möchte ich auch. Davon ist Kunst allerdings ziemlich weit weg, wenn man mal von Banksy und der Urban-Art allgemein absieht.

JIM AVIGNON, DICING WITH THE DEVIL

Du möchtest, dass Deine Kunst für jedermann zu erwerben ist. Das konterkariert die Gesetze des Kunstmarktes. Diesen Kampf führst Du seit über 30 Jahren. Ist das ein Kampf gegen Windmühlen oder erzielst Du dabei auch Erfolge?

In den letzten 20 Jahren hat der Kunstmarkt eine geradezu unverschämte Blütezeit erlebt.

Konventionelle Geldanlageformen sind vielfach k.o. gegangen oder als Blase implodiert, deshalb wird nun immer mehr Geld in Kunst investiert. Das ist gut für manche Künstler, die mit ihren Bildern zu sagenhaftem Reichtum gekommen sind, aber doch eher schlecht für die Branche als Ganzes, weil künstlerischer Erfolg nun hauptsächlich an den Preisen gemessen wird, die ein Künstler erzielen kann. Ich kämpfe dagegen an, indem ich meine Bilder einfach nicht teurer werden lasse. Ich zeige der Welt: Hier ist ein Künstler, dem geht es nicht um Wertsteigerung, sondern um Inhalte. In vielen hunderten, wahrscheinlich tausenden Wohnungen hängen meine Bilder und sie hängen da, weil die Besitzer sie mögen und nicht als Wertanlage.

Mit 29 Jahren hattest Du in der Kunsthalle Schirn. Deine erste museale Solo-Show. Es folgten bis heute zahlreiche weitere Museumsausstellungen in prominenten Häusern in zig Ländern. Konterkarieren diese nicht genau genommen Dein gesamtes Konzept?

In der Kunsthalle Schirn habe ich Wäscheleinen kreuz und quer durch das Museum gespannt und insgesamt 800 Bilder daran gehängt. Für 15 DM durfte jeder Besucher um Mitternacht ein Bild abhängen und aus dem Museum mit nach Hause nehmen. Ich finde, dass ich da meinem Konzept ziemlich treu geblieben bin. Im letzten Jahr habe ich auf der Kunstmesse Karlsruhe einen Black Market aufgezogen. Die Bilder hingen mit der Rückseite nach vorne und haben zwischen 20 und 100€ gekostet. Man musste ein Bild zuerst kaufen, bevor man sehen konnte, was darauf ist. Ich glaube, dass ich mit meiner Philosophie noch lange nicht am Ende bin …

JIM AVIGNON, CIVILISATION, 2020

Mit Scharen von Assistenten haben bereits einige derRenaissance Stars gearbeitet. El Greco oder Rembrandt setzten dies fort. Warhol trieb die Massenfertigung in seiner Factory auf die Spitze. Da steht er auch in den Preis-Rankings der Gegenwartskunst. Glaubst Du wirklich ausschließen zu können, dass der Kunstmarkt irgendwann auch bei Dir die Preisgestaltung übernimmt?

JA: Hey, noch bin ich am Leben und kann da auch ein Wörtchen mitreden. Von mir aus kann sich die Finanzwelt auf den Kopf stellen, ich bleibe meiner Philosophie treu. Und sollte nach meinem Ableben tatsächlich mal so ein bizarrer Preisboom einsetzen, wie mir das manche androhen, dann freut es mich schon jetzt, dass einige arme Schlucker, bei denen meine Kunst jetzt hängt, auf diese Weise auch mal ein Stückchen vom Kuchen abbekommen können.

Im angewandten Design hast Du von der Swatch Uhr über den Fashion-Bereich bis hin zur Boeing 737 der Deutschen BA und Deinem 2800qm-Werk zur Wiedereröffnung des Berliner Olympia-Stadions kaum etwas ausgelassen.Wie stehst Du heute zu diesen Arbeiten?

Eine Zeit lang glaubte ich, dass die Welt einen nur dann ernst nimmt, wenn man mit dem, was man macht, viel verdient (ist wahrscheinlich auch immer noch so). Und da ich ja als Künstler für meine Niedrigpreise berühmt war, wollte ich wenigstens als Designer viel Geld von den Companies einsacken. Das schien mir legitim. Aber mit jedem Job verkauft man auch ein bisschen seine Seele und irgendwann hat man vergessen, wofür man steht und fühlt sich ausgebrannt und ausverkauft. Ist zumindest mir so gegangen. Ich habe lange gebraucht, um mich davon zu erholen und überlege heutzutage genau, ob ich eine kommerzielle Sache mache oder nicht.

Bei aller guten Laune stehst Du auch für radikale Symbole und konzertierte Guerilla-Aktionen, wie beispielsweise bei der Übermalung Deines eigenen East-Side Gallery Mauerabschnitts von 1991 oder der documenta-X-Aktion, bei der Du auf dem Rasen vor dem Fridericianum jeden Abend das an diesem Tag geschaffene Werk zerstörtest. Wie viel Respekt hast Du vor Deinem eigenen Werk und blutet Dir zum Preis für die medienwirksam große Geste vielleicht sogar selber manchmal das Herz?

JIM AVIGNON, DANCE THE NIGHT AWAY

Das Leben ist ein Kommen und Gehen und das gilt zumindest auch für meine Kunst. Für mich ist das Wesentliche eines jeden Kunstwerks die gute Idee dahinter und diese Idee ist immateriell– unverkäuflich und unzerstörbar. Und genau das wollte ich bei der documenta-Performance zeigen. Habt Ihr das Bild gesehen? Macht ein Foto oder merkt es euch, denn gleich bin ich durchgesprungen und dann sind nur noch ein paar Fetzen davon übrig. Andere Künstler sehnen sich nach Unsterblichkeit, ich lebe den Moment, eigentlich finde ich die Idee faszinierend, dass mit meinem Ableben auch all meine Bilder wieder verschwinden würden.

Mit Deinem Musikprojekt Neoangin hast Du in den letzten 20 Jahren 16 Alben veröffentlicht. Damit bist Du mit Erasure ungefähr gleich auf. Wer einmal den Sound von Jukebox, Party for one oder bad photoshop gehört, vor allem aber Deine komplett animierten Videos gesehen hat, wird sofort das Suchtpotential erkennen, vor allem aber besser gelaunt aus dem Selbst-Experiment heraus kommen, als er hinein ging. Welche Rolle spielt für Dich dabei die audio-visuelle Gesamtkomposition?

Gesamtkunstwerk ist vielleicht eine Nummer zu groß  – egal, ob ich male oder Musik mache, dahinter steckt ja derselbe seltsame Typ mit seinen crazy Ideen, der einfach verschiedene Ventile für seinen Output findet. Wenn ich auf meinen Shows mit Masken vor meinen Bühnenbildern tanze, dann sieht das aus wie ein lebendig gewordenes Computerspiel. Ich würde gerne viel mehr Videos machen. Ärgerlich nur, dass das Drehen und Schneiden immer so elend viel Arbeit macht und ich viel zu oft das Handtuch werfe, bevor ich fertig bin. Aus all den unverwendeten Videoschnipseln könnte ich wahrscheinlich einen ganzen Kinofilm zusammen schneiden …

Der Wert von Kunst definiert sich nicht über ihren Preis. Du illustrierst dies nicht nur durch Deine Arbeit und Vermarktungsstrategie, sondern auch mit markanten Statements wie „Kunst raus aus den Museen” oder „Hug the Enemy (Artmarket)” Hast Du schon einmal unmoralische Angebote zum Seitenwechsel erhalten und falls ja, wie hast Du darauf reagiert?

Meine Philosophie ist „good artists go to museum, bad artists go everywhere“. Ich lebe in so einer Art Paralleluniversum, in so einem Hang-out direkt neben der Hochkultur, aber die sehen mich nicht, weil wir in verschiedenen Codes kommunizieren. Manchmal wechseln Kollegen die Seite, bewegen sich vom Underground zur Hochkultur, aber das heißt nicht, dass ihre Kunst dann automatisch toller ist, weil sie im Museum hängt. Im Gegenteil, wenn sie Hochkultur machen, haben sie plötzlich riesige Budgets zur Verfügung und das ist meistens ein Kreativitätskiller.

19 JIM AVIGNON, HAUSWAND ONE WALL ART PARK TEGEL, BERLIN 2020

Auf dem Gelände des Nation Museum for Urban Contemporary Art oder kurz dem Artpark Tegel in Berlin ist in diesem Jahr Dein jüngstes Giga-Format entstanden. Das Kunstmagazin Monopol interpretierte dazu wie folgt: ‚Der aufgeblasene Gasriese in der Optik des blauen Planeten ist bei der herannahenden Flut die einzige Rettung für unsere Errungenschaften und uns selbst.‘ Da klingt die Apokalypse an. Hat Jim Avignon zu guter Letzt doch seinen Optimismus verloren?

Bei mir gehen die heitere und die düstere Seite Hand in Hand. Das ist doch wie im richtigen Leben: Trotz all des Elends überall geht man drau en spazieren und die Schönheit der Welt haut einen um. Idealerweise gibt es bei mir auf jedem Bild eine fröhliche und eine dunkle Seite. Kein Optimismus ohne kritischen Unterton, kein Kitsch ohne nicht ein bisschen Zynismus dabei. Ich glaube an das Gute im Menschen, aber gleichzeitig spüre ich, dass das in 2020 schon reichlich naiv ist. Aber höre ich deswegen damit auf? Nie und nimmer!