Fotografie

Theorie

Das Stilllebenals eigene Gattung hat sich erst zum Ende des 16., Anfang des 17. Jahrhunderts in der Kunst durchgesetzt. Bis dahin spielten die arrangierten Gegenstände wie zum Beispiel Blumen oder Früchte in Gemälden und anderen Kunstwerken stets nur eine nebensächliche Rolle. In einer Zeit, in der die Kirche Hauptauftraggeber für Künstler in Europa war, war das Darstellen von biblischen Szenen als Sujetgefragt. Hier war das Malen von menschlichen Figuren die Königsdisziplin, häufig wurden Künstler pro Figur im Bild bezahlt. Wenn Gegenstände in den Werken auftauchten, hatten sie oft eine symbolische Message in der christlichen Ikonographie. Umso überraschender war es, dass Michelangelo Merisi da Caravaggio (1571-1610), welcher selbst für seine menschlichen Darstellungen durchaus geschätzt war, mit der traditionellen Hierarchie im Bild brach: Auf seinem Gemälde „Junge mit Fruchtkorb“ (1593/94) überdeckt der Fruchtkorb den Jungen. Diesmal steht nicht der Mensch, sondern der Gegenstand steht im Vordergrund.

Kurze Zeit später entwickelt sich insbesondere in den Niederlanden der Trend zu Blumenbildern, welcher zu Beginn vor allem von Künstlern wie Jan Brueghel („Blumenbrueghel“) und Daniel Seghers vorangetrieben wird. Obwohl mit der einen Tradition gebrochen wurde, blieb den Bildern ein kirchlicher Tonus erhalten. Die Blumen sollten an Vergänglichkeit erinnern, Vanitas. Gemalt wurden sie zum Zeitpunkt ihrer schönsten Blüte. Gleichzeitig sollten sie darauf hinweisen, dass sie bald verwelken würden. Einige Künstler arrangierten Totenschädel oder Knochen neben ihnen. So waren die Motive eine Mahnung an den Betrachter, nicht zu sehr an irdischer Schönheit festzuhalten und ein bescheidenes, gottgefälliges Leben zu führen. „Memento mori“war die Redewendung, die das Stillleben in seinen Anfängen begleitete. Die Kunst ordnete sich einer christlich-moralischen Botschaft unter.

Paul Cézanne, Stillleben mit Totenkopf und

Andy Warhol, Flowers, 1970

Andy Warhol, Flowers, 1970

Erst ab dem 18. Jahrhundert löste sich das Stillleben langsam von der moralischen Botschaft. Die Motive des Stilllebens wurden erweitert, man thematisierte nun auch schlichtere Alltagsgegenstände. Künstler wie Jean-Baptiste Siméon Chardin malten „Wasserglas und Kaffeekanne“ und ermöglichten die Eigenständigkeit des Stilllebens. Die ärmlich anmutenden Gegenstände, die rein der Existenz des Menschen dienen, werden nun zum Symbol für das materielle Sein an sich.

Im Gegensatz zu den frühen niederländischen Darstellungen wurde das Stillleben im 19. Jahrhundert realistischer und weniger beschönigend. Französische Maler wie Gustave Courbet zeigten einen bereits welkenden „Asternstrauß“ (1859) und prägten so den Begriff der „nature morte“. Während Courbet sich als Künstler politisierte und sich als Anhänger der französischen Revolution auch als „Realist“ bezeichnete, erklärte Eduard Manet seine Bilder damit, dass er nach einer besonderen „Aufrichtigkeit“ strebe. Der Betrachter sollte den Gegenstand genauso sehen wie der Maler selbst.

Auch Vincent van Gogh malte zunächst detailliert Blumen in Vasen bis er das Stillleben in seinem berühmten expressiven, „nervösen Malduktus“ neu interpretierte. In der neuen Abstraktion des Stilllebens folgten ihm Künstler wie Paul Cézanne und auch Pablo Picasso, die den Schwerpunkt nicht mehr auf den detailreichen Realismus legten. Die Fruchtkörbe, aber auch Alltagsgegenstände an sich bildeten nicht mehr den Wert des Bildes: Die Legitimation des Werks lag rein in der Arbeit des Künstlers.

Paul Klee und Andy Warhol sind bekannte Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts, die auf ihre eigene künstlerische Art und Weise das Stillleben zum Motiv machen. In der modernen Kunst werden beispielsweise Blumen nun häufig weniger genutzt, um Sterben oder Tod zu symbolisieren, sondern eher um Verschwendung und Verführung zu ästhetisieren.